Danzblog

Innovation Expert. Speaker.

Wer gut bescheißt, hat bessere Ideen.

20.06.2016 // 09.59 Gerriet Danz

Über die dunkle Seite der Kreativität. Die guten Nachrichten zuerst: Im Grunde halten wir Deutschen uns im Großen und Ganzen schon für kreativ – und sind mit Franzosen und Briten in bester Gesellschaft: Laut einer Bertelsmann-Studie betrachten sich 65 Prozent der Inselbewohner, 70 Prozent im Land des Savoir Vivre und 72 Prozent der Menschen hierzulande als „kreative Person“. Als effektivste Inspirationsquellen wurden länderübergreifend und übereinstimmend das Fernsehen, Bücher, Zeitungen, Magazine, Musik und Spiele angeführt. Und was meinen Sie, wie viele der Befragten ihre Kreativität im Internet ausleben, also zum Beispiel auch im Bereich der Social Media? Ich muss sagen, dass es mich überraschte, dass es lediglich ein Viertel war; ich hätte mit deutlich mehr gerechnet.

Auch das kollegiale Umfeld beeinflusst unseren „Status Kreativitatae“, ohne dass wir selbst in erster Instanz etwas dazu tun müssten: Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) fand unlängst heraus, das Unternehmen, die ihre Mitarbeiter aus verschiedenen Kulturkreisen rekrutieren, deutlich häufiger neue oder verbesserte Produkte auf den Markt bringen. Vielleicht ein Grund von vielen, weswegen hierzulade bereits jede fünfte Firma eine internationale Mitarbeiterschaft als wichtigen Bestandteil der Unternehmenskultur angibt.

So weit, so gut, aber wo Licht ist, ist auch Schatten: Neulich stieß ich beim Blättern im FOCUS auf einen Zwischenruf vom Kollegen Vince Ebert, seines Zeichens Physiker, Wissenschafts-Kabarettist, Speaker und Moderator. Der Artikel ließ mich gleichermaßen schmunzeln und nachdenklich werden; sein Titel lautete „Querdenker unerwünscht“. „Wie nun?“ fragte ich mich, „…alle – inklusive meiner eigenen Personen – reden doch ständig davon, wie sehr das Querdenkertum gefragt ist. Ich mache mir Gedanken dazu, mit welchen Techniken man die eigene Hirnmasse dazu bewegen kann, nicht nur quer zu denken, sondern möglichst auch um die Ecke. Mit dem Ergebnis, dass dabei etwas Neues entsteht…“ Ja, diesem Ansatz folgt auch der Vince, um dann aber auf amüsante Art und Weise einmal genau hinzusehen und festzustellen, dass Querdenker-Wasserpredigen zwar das eine sei, JaSager-Weinsaufen aber eben die Kehrseite der Medaille. Er verweist auf Unternehmen, die laut ihren Stellenbeschreibungen zwar gerne nach Querköpfen suchen, dabei aber vergessen, was oder wen sie sich damit an Bord holen: Querdenker sind Vieles, aber keine stromlinienförmigen Ja-Sager. Sie sind unbequem und haben auf den alltäglichen Trott oftmals die Wirkung eines aufgebrachten Hornissenschwarmes. Wo läge sonst auch der Sinn Ihres Querdenkens? Natürlich sprengen sie den Rahmen – aber will man das wirklich? Dann muss man sich am Ende, oder besser für den Anfang einer Neuausrichtung, nämlich selbst bewegen! Allein mit „Querdenkenlassen“ lässt sich kein Blumentopf gewinnen.

Eine gute Freundin hatte vor einem guten Jahrzehnt das Vergnügen einen „native Querdenker“ zur Welt zu bringen. Sie können mir glauben, dieses Kind ist für seine Erziehungsberechtigten und Lehrer eine Herausforderung. Es hinterfragt alles und nimmt erst einmal nichts als gegeben hin. Gibt es dafür Beifall oder gar Fleißpunkte? Sagen wir mal: Äußerst bedingt; eher nicht. Ebert bringt es ziemlich unverblümt mit folgenden Worten auf den Punkt: „Wir alle lieben den schrulligen Querdenker – aber erst, wenn er seit mindestens 50 Jahren tot ist.“ Das hat er übrigens gemeinsam mit unzähligen Künstlern, deren Leistungen zu ihren Lebzeiten nicht anerkannt wurden und die stattdessen in irgendwelchen Anstalten landeten. Wussten Sie beispielsweise, dass Der Schrei von Edvard Munch eine psychotische Wahnvorstellung des Künstlers war? Im Grunde hatte die Nachwelt Glück, dass das Werk nicht als Produkt einer Therapiestunde „Freies Gestalten“ in irgendeiner Ablage gelandet ist. Aber gut, das ist ein anderes Thema.

Es sollte also klar sein, dass Innovationsprozesse nichts für Menschen und Unternehmen mit Neuschnupfen sind. Wem also allergische Tränen in die Augen schießen, sobald Dinge wie Um-, Neu-, Weiter- oder Querdenken in den Sinn kommen, macht besser beizeiten mal eine Desensibilisierungskur (zum Beispiel in einem meiner Vorträge oder auch bei einem meiner geschätzten Kollegen). Echte Querdenker sind nicht angenehm, taugen nicht zu „Everybodys Darling“ und gehen auch nicht des lieben Friedens Willen auf inhaltlichen Kuschelkurs mit Kollegen und Vorgesetzten. Dafür sind sie einfach nicht da. Beruhigend zu wissen, dass das ganze Generve am Ende natürlich einen Sinn erfüllt und etwas Neues entsteht, was letztlich allen zu Gute kommt.

Wer sich in diese These eindenken kann, betrachtet vielleicht auch verlogene Kollegen fortan mit neuen Augen: Sie leisten nämlich unter Umständen kreativ wirklich etwas (denn auf Unwahrheiten muss man ja erst einmal kommen!) und tendieren eventuell auch genau deswegen zum flexibleren Umgang mit der Wahrheit. Dass, wer gut lügen will, einigermaßen kreativ sein muss, dürfte jedem klar sein. Egal, ob es dabei um einen Seitensprung geht, der vertuscht werden will; ein Kompliment über eine neue Frisur, die in Wirklichkeit einem Vogelnest ähnelt oder auch nur die abenteuerliche Erklärung des Nachwuchses, wie die Schokolade aus dem Kühlschrank verschwunden ist: Gut gelogen ist halb geglaubt! Francesca Gino von der Harvard University und Scott Wiltermuth von der University of Southern California fanden heraus, dass auch andersherum ein Schuh draus wird: Die Psychologen veröffentlichten auf Psychological Science Online eine Studie, der zur Folge Menschen, die flunkern, lügen und mogeln in anschließenden Kreativitätstest durch die Bank besser abschnitten, als Probanden, die bei der Wahrheit blieben und ehrlich spielten. MACHT Lügen demnach kreativ?

Die Forscher hatten in ihrem Experiment den Probanden Geldpreise für richtige Lösungen in einem Rechentest in Aussicht gestellt. Je mehr Richtige, desto mehr Geld gab es – wie viele richtige Antworten sie aber gegeben hatten, mussten die Probanden den Versuchsleitern selbst sagen. Die Aufgaben wurden beispielsweise zu Hause gelöst – die Versuchspersonen konnten also davon ausgehen, dass die Studienleiter ihnen glauben mussten. Wie Sie merken, sollte dieser Versuchsaufbau die Leute zum Übertreiben animieren, um eine möglichst hohe Belohnung einzustreichen. Knapp 60 Prozent der Teilnehmer flunkerten tatsächlich und gaben an, mehr Aufgaben richtig gelöst zu haben, als es in Wirklichkeit der Fall war. An diesen ersten Teil der Studie schloss sich ein zweiter, in dem die Probanden Assoziationstests absolvieren mussten. Und siehe da: Wer zuvor getrickst, und die Unwahrheit gesagt hatte, erzielte nun deutlich kreative Ergebnisse. Selbstverständlich wiederholten die Forscher die Untersuchung in verschiedenen Anordnungen diverse Male – und fanden ihre Annahme immer wieder bestätigt: Wer vor der Kreativaufgabe log, löste sie erfolgreicher, mit ungewöhnlicheren Antworten.
Die Erklärung liegt für die Wissenschaftler darin begründet, dass sich das Gehirn beim Lügen über moralische Grenzen hinwegbewegt und genau dieses „Über-den-Tellerrand-Denken“ passiert bei kreativen Prozessen auch. Beim Lügen und beim Kreativsein werden also im gewissen Sinne gleichermaßen Konventionen durchbrochen und das eine bildet ein hervorragendes Warming-Up für das andere. Lügen haben folglich nicht nur kurze Beine sondern doch auch kreatives Potential. Na bitte. Das Schöne: Man kann sich ja jeden Tag neu entscheiden, wohin mit seinem kreativen Talent: Vielleicht eher die Welt retten, als sie zu veräppeln.

Ihr Wissen ist in 7 Jahren alt!

20.06.2016 // 09.34 Gerriet Danz

In 7 Jahren ist Ihr heutiges Wissen alt! Das Phänomen „Silicon Valley“, Teil 2 .

Bei der Häufung der zahlreichen Millionäre und Milliardäre in der Region des Silicon Valleys, ist es angenehm erstaunlich, dass der Reichtum in der Regel nicht zur Schau getragen wird. Abgesehen von dem einen oder anderen extravaganten Event, bleibt er unsichtbar, und es ist eher allgemeines Understatement angesagt. Das man Geld braucht, um sich die Mieten vor Ort leisten zu können, steht fest; angeblich soll es inzwischen Menschen geben, die für einen Zeltplatz im Vorgarten einer der angesagten Bezirken des Valleys 1000 Euro im Monat bezahlen.

Die sonst so typischen Statussymbole, wie dicke, schnelle Luxusautos, Gold, Glitzersteine oder sichtbar teure Modelabels sind im Straßenbild einfach nicht präsent. Viel mehr ähnelt die Kulisse beispielsweise von Palo Alto der einer mittelgroßen deutschen Studentenstadt – wie zum Beispiel Göttingen – mit eventuell ein paar mehr architektonischen, spanisch geprägten Hinguckern. Einige Geschäftsgebäude spiegeln den Charme der 70er, gar nicht so unähnlich manchem Flachdach-Einheitsbauten der Gewerbegebiete im Münchner Süden. Ich habe mal für ein Unternehmen in München gearbeitet, in einem derart hässlichen Gebäude, dass ich ganz erstaunt war, dass z.B. Apple (ok, vor der Planung des neuen Campus, und sie sitzen im benachbarten Cuppertino und nicht in Palo Alto) in einem ebenso unansehnlichen Ding haust. Da hätte man sich vermutlich eher eine iphone-Architekturikone vorgestellt. Und es ist sehr still in Palo Alto, dem kleinen Ort im Zentrum des Geschehens, nicht Großspuriges, nichts Extremes. Dresscode? Fehlanzeige – zumindest, wenn man dabei etwas anderes als T-Shirts und Flipflops im Sinn hat. Downdressing lautet die Devise und es steckt mehr dahinter als ein bloßes Nicht-Auffallen-Wollen: Überflüssigkeiten wie Lippenstiftauftragen oder Blusenbügeln hält einen schließlich von den wirklichen wichtigen Dingen des Lebens ab. Wer Mietpreis bedingt nicht zu weit rausziehen muss, fährt Fahrrad.
Auch, wenn er Millionen in seiner Aktien-Satteltasche hat. Auch hier, im Zweitzweiradsektor funktioniert natürlich alles hightechmäßig und möglichst individualisiert (für mehr Details wenden Sie sich bitte an Jeff Selzer von „Palo Alto Bicycles“, einem Familienunternehmen, das hier seit fast 100 Jahren existiert). Die, die Auto fahren (müssen), sind zumeist mit einem dieser lautlosen Elektroautos von Tesla unterwegs. Irgendwie herrscht im Silicon Valley einfach eine legere Goldgräberstimmung – und das nicht nur für hochspezialisierte Computernerds, Freaks oder die Creme de la Creme der Technologie.

Herrlich „normal“ und auf dem Teppich geblieben, ist auch Sebastian Thrun, der eigentlich aus Solingen stammt. Er ist Ende 40 und war einfach mal ein Professor in Stanford, bevor er dort das geheime Forschungslabor von Google, Google X, aufbaute und leitete, nachdem er mit einem der ersten selbstfahrenden Autos für Furore gesorgt hatte und seinen beiden späteren Vorgesetzten, den Google-Gründern Larry Page und Sergey Brin ins Auge gestochen war. Foreign Policy, ein Politik- und Strategiemagazin aus Washington, kürte 2012 die „100 einflussreichsten Denker der Welt“ und bugsierte Thrun als „weltweit führenden Experten für Robotik und künstliche Intelligenz“ auf keinen geringeren als den vierten Platz ihres Top 100 Rankings. Da hatte der Schnelldenker schon mitverantwortlich gezeichnet für die Realisierung von Google Street View und der viel besprochenen Computerbrille Google Glass.
Wenig später hatte es sich, auf eigenen Wunsch, für Thrun ausgegooglet, es war für ihn an der Zeit, seine (eigene) revolutionäre Mission Wirklichkeit werden zu lassen: Mit „Udacity“ gründete er die erste virtuelle Universität; eine Hochschule für alle, eine Innovation für Bildungssystem, Lehre und Studiengewohnheiten; kurz gesagt und provokant formuliert: Die Demokratisierung des Wissens.
Der Name der Online-Akademie setzt sich zusammen aus dem „U“ für „University“ und dem englischen Begriff „audacity“, was soviel wie Mut oder Kühnheit bedeutet.

Das weltweite Bildungssystem zu ändern, war das kühne Ziel von Sebastian Thrun.
Denn warum sollte es nur wenigen Priviligierten in Wohlstandsländern vorbehalten sein, zu studieren? Entstanden ist der Gedanke aus einer Zufallsbeobachtung: Thrun stellte eine Vorlesung zum Thema „Künstliche Intelligenz“ ins Internet. Zu seiner eigenen Überraschung fand die Veranstaltung innerhalb kürzester Zeit knapp 200.000 internationale Viewer. Wie schön, dass es im Netz keine Überbuchung gibt! Thrun sieht Bildung als ein humanitäres Grundrecht an, im Idealfall so selbstverständlich wie sauberes Wasser, freie Meinungsäußerung und persönliche Entfaltungsmöglichkeiten. Anfang dieses Jahres zählte Udacity bereits drei Millionen Studenten aus mehr als einhundert Ländern und dazu 120 Mitarbeiter. Das Einzigartige der ersten Online-Universität: Sie baut ihr Bildungsprogramm gemeinsam mit Wirtschaftsunternehmen wie beispielsweise Facebook und Google auf – und auch der Medienkonzern Bertelsmann investierte unlängst einen zweistelligen Millionenbetrag in das Projekt. Seine Dozenten rekrutiert Udacity hauptsächlich aus den genannten Unternehmen; es ist Thrun wichtig, dass es sich bei ihnen um Praktiker handelt, die aktuelles Wissen vermitteln. Nach seiner Überzeugung ist jedes Wissen nach spätestens sieben Jahren überholt und veraltet. Was das über
Lehrstühle aussagen könnte, die hierzulande üblicherweise mehrere Jahrzehnte von ein und derselben Person bekleidet werden, kann sich jetzt jeder selber überlegen. Früher reichte das, was man in seiner Schulzeit und während des Studiums lernte für die gesamte weitere berufliche Existenz aus, heute muss man eben ein Leben lang neu-, um- und weiterlernen.

Noch ist Udacity eine technische Universität mit Kursen wie Statistik, Webprogrammierung, künstliche Intelligenz, Big-Data-Analyse und Informationstechnologie; in Planung sind Business und Entrepreneurship. Der Master in Informatik, den die Uni in Zusammenarbeit mit dem Georgia Institute of Technology anbietet, kostet bei Udacity etwa 7.000 Dollar – zum Vergleich: An anderen Universitäten investiert man für diesen Studiengang bis zu 45 000 Dollar; ein Student in Stanford zahlt etwa 52 000 Dollar für zwei Semester – jährlich.

Zum Nachdenken und Nachrechnen lassen Sie uns einen Blick auf eine Äußerung von Professor Dieter Lenzen werfen. Er ist Präsident der Hamburger Universität. Man stellte ihm die Frage, ob das Streben nach Exzellenz an seiner Uni schon allein aus Budgetgründen ein mühsames, wenn nicht sogar müßiges Unterfangen sei. Lenzen rechnete darauf hin vor, dass die Budgets der amerikanischen Spitzenuniversitäten etwa das Zwanzigfache der Uni Hamburg betrügen. Und: Die US-Unis unterrichten nur etwa die Hälfte der Studierenden – gemessen an unseren Bildungseinrichtungen. Im Umkehrschluss stehen den Amerikanern also etwa 40 mal höhere Budgets zur Verfügung. Noch Fragen?

Nun wird es sicher auch in Hamburg schon den einen oder anderen Udacity-Studenten geben – aber: Man könnte ja auch einfach einmal in dieser Stadt anfangen, bildungspolitisch umzudenken, weiterzudenken, querzudenken. Und schließlich gelang es der finanziell gebeutelten Elbmetropole in den letzten Jahren auch immer wieder, knapp zwei Dutzend international renommierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen für sich zu gewinnen und zumindest mittelfristig zu binden, wie zum Beispiel einen Kunsthistoriker aus Harvard und einen Physiker aus Oxford. Na, immerhin.

Macht Apple Praktikanten reich?

20.06.2016 // 09.13 Gerriet Danz

Unglaublich, was man als Apple Praktikant verdient. Das Phänomen „Silicon Valley“, Teil 1.

Es ist ein nur knapp einhundert Kilometer langes Tal in Kalifornien, so groß wie das Bundesland Sachsen, hat sieben Millionen Einwohner, darunter 50 000 Deutsche. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt 1,75-mal höher ist als in good old Germany: Im Silicon Valley trifft man auf klangvolle Firmennamen – Amazon, Apple, Atari, Bayer, Bosch, Daimler, Dropbox, Ebay, Facebook, Google, Hewlett-Packard, Instagram, Linked In, Microsoft, Monsanto, Mozilla, SAP, Skype, Spotify, Twitter, den Fahrgastvermittler Uber, Volkswagen und WhatsApp, um nur einmal die hierzulande bekanntesten Unternehmen aufzuzählen. Sie expandieren, innovieren am Puls der Zeit und schreiben Wirtschaftsgeschichte. Es heißt, das Silicon Valley wäre dabei, Hollywood als ultimative Traumfabrik abzulösen.

Was sich hier nun schon seit einigen Jahrzehnten ereignet, ist eine Art neues amerikanisches Wirtschaftswunder. Es herrscht eine Nichts-ist-unmöglich-Mentalität; Scheitern ist ein Ansporn, es das nächste Mal besser zu machen und etwas aus der misslungenen ersten Runde zu lernen. Banken vor Ort gewähren auch jenen Unternehmern einen Kredit, die schon einmal ein Start-Up gegen die Wand gefahren haben. Manchmal sogar eher, als einem völlig unerfahrenen Unternehmer, der noch nie etwas ausprobiert hat.

Einer der Mittelpunkte dieses in vielerlei Hinsicht pulsierend-florierenden Fleckchens Erde, ist die renommierte Standford Universität: Studienort zahlreicher Nobelpreisträger und Brutstätte für die Innovateure von morgen. Der Campus ist so groß, dass Disney World etwa 27-mal hineinpassen würde. Das Gründen von Unternehmen gehört hier irgendwie dazu, wie anderen Ortes der Gang zur Mensa (diese Formulierung stammt nicht von mir, sondern von Philipp Rösler, danke dafür!). Gelebte inspirierende Start-Up-Mentalität; etwas Neues zu beginnen wird als pure Chance gesehen, nicht als Risikounternehmung – und Fehlschläge werden als Lehrmomente interpretiert, nicht als Todesurteil für eine Unternehmung. Mut, Kreativität, Innovationskraft und Schaffensdrang resultieren nicht zuletzt aus der unproblematischen Bürokratie, die mit einer Gründung im Silicon Valley einhergeht. Man wird beinahe automatisch selbständig. Schöne neue Welt. Es wimmelt von Investoren, die magnetisch auf gute Ideen wirken, oder umgekehrt, jedenfalls finden sie spielend leicht zueinander, in der wohl weltweit dynamischsten Gründerszene der Gegenwart. Unausgereifte oder erfolglose Geschäftsideen trägt man im Lebenslauf wie Orden mit sich herum; was zählt ist der „track record“, also echte Erfahrungen mit Geschäftsideen und Unternehmensgründungen – nicht etwa bloßes Interesse oder theoretisches Expertenwissen a la „ich würde mal gerne…“. Es ist durchaus üblich, dass die Erfolgreichen hier den Durchbruch erst nach drei, vier oder sogar fünf Fehlschlägen schaffen. Bis es soweit war, haben sie einfach gelernt. So what? Nobody cares! Wer Erfolg hat, fördert seinerseits die Start-Up-Szene, wodurch ein sich selbst nährendes Netzwerk entsteht, ein dichtgewebtes Sprungtuch, das seine besten Knötchen – und davon gibt es nicht wenige – zielsicher auf den Weltmarkt wirft. BILD Herausgeber Kai Diekmann begab sich selbst für einige Zeit an den Ort, aus dem neun der zehn weltweit erfolgreichsten Digitalunternehmen stammen, um dem Phänomen der sagenhaften Innovationsfreude auf den Grund zu gehen. Auch er beobachtete die schon erwähnten Faktoren des Erfolges: Mut zur Lücke, Risikobereitschaft, ein viel höheres Tempo, wenn es darum geht, Entscheidungen zu fällen und Projekte umzusetzen. Außerdem fiel Diekmann auf, dass der ganze technologische Sektor im Allgemeinen ein höheres Ansehen genießt als in Deutschland.

Vielleicht stehen das typisch deutsche Bedenkentragen und auch die berühmt-berüchtigte Gründlichkeit der Innovationsbegeisterung in unserem Land wirklich mehr im Wege, als man zunächst denken würde. Hier finden sich meist BWLer, die ein Unternehmen gründen und dazu – nach reiflicher Überlegung und Abwägung – noch den einen oder den anderen Geschäftspartner hinzuziehen, der natürlich einen passenden beruflichen Background mitbringen muss. Im Silicon Valley dagegen besteht die Gründerszene aus Ingenieuren und Technikfreaks, Programmieren und Bastlern, häufig sind es aus einer Studienfreundschaft gewachsene Teams, wie zum Beispiel die Jungs um Paypal, die später auch YouTube, LinkedIn und Yelp ins Leben riefen und heute den Spitznamen „Paypal-Mafia“ tragen.
Diekmann berichtet, dass eine Innovation im Valley oft auch nicht erst jahrelang perfektioniert wird; stattdessen gibt man das Produkt unfertig heraus und wartet, was der reale Gebrauch daraus macht, denn schon Steve Jobs verfolgte den Ansatz, dass es reiche, eine Sache zu 85 Prozent zu perfektionieren, den Rest solle man den Usern überlassen – und es funktioniert!

Und noch einen (kulturellen?) Unterschied gibt es zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Denken im Bezug auf Unternehmensgründung, meint der Investment Director Bernhard Gold. Er arbeitete auf beiden Seiten des Teiches für die Deutsche Telekom und behauptet, deutsche Gründer träumten davon, reich zu werden und nie mehr arbeiten zu müssen, während die amerikanischen die Welt erobern wollen. War oder ist man hier mit einem Start-Up erfolgreich, denke man nicht ans Aufhören, sondern gründe gleich das nächste.

Wer fit im Programmieren ist und vielleicht sogar etwas längere Sommerferien hat, die er noch nicht zu verplanen wusste, könnte ja einmal darüber nachdenken, ein bezahltes Praktikum im Valley zu machen; jedenfalls wird kolportiert, dass fähige Trainees von Google mit 7.000 Dollar im Monat belohnt werden, bei Amazon wären es sogar 7.500, während Apple lediglich 6.000 investiert. Wenn man Glück hat, bekommt man bei dem einen oder anderen Unternehmen dann noch 3.500 Dollar Mietzuschuss – alles eine Frage des Verhandlungsgeschicks. Ob’s stimmt, verrät einem natürlich so genau niemand. Klingt jedenfalls nach “Goldrush reloaded”. Der Kampf um Nachwuchs lässt sich eben nicht unbedingt aus der Portokasse bestreiten und man munkelt, dass solche Auswüchse die Start-Ups langsam aber sicher in günstigere Gefilde abdrängen, wie Detroit oder Austin. Ein durchaus ethisch diskutabler Höhepunkt im Wettbewerb um Wettbewerber war wohl das Angebot von Facebook und Apple, die Eizellen ihrer Mitarbeiterinnen auf Unternehmenskosten zu konservieren.

Manchmal treibt das „Höher-Schneller-Weiter“ im Tal der Ahnungsvollen auch skurrile Blüten auf Nebenschauplätzen, wie beispielsweise die Ausgestaltung der Hochzeitsfeierlichkeiten des Napster-Gründers Sean Parker zeigt. Bis der 2013 seine Vorstellung einer perfekten Hochzeitskulisse realisierte, hielt Mitwettbewerber und Google-Gründer Larry Page die Benchmark: Der hatte 2007 eine Karibikinsel gemietet und seine 600 Gäste mit Privatflugzeugen dahin übersetzen lassen. „Kann jeder“, mag sich Parker gedacht haben und ließ kurzerhand eine Filmkulisse nachbauen – ungenehmigt und in unmittelbarer Nähe zu einem Naturschutzgebiet. Egal, diese Feier wird sicherlich nicht nur den Brautleuten, sondern auch den Gästen im Gedächtnis bleiben – und die etwas 2,5 Millionen Dollar Strafe (kaum ein Drittel der insgesamt angefallenen Kosten der Feierlichkeiten im Rahmen der Hochzeit), die Parker im Anschluss zahlen musste, kam zu seiner Freude ja auch wieder der Umwelt zugute, indem sie in ökologische Projekte in der Region floss. Am Ende also – und mit einigem Goodwill betrachtet – eine höchst innovative Art des Engagements für die Umwelt.

Ideenvöllerei per Digital Detox.

26.01.2016 // 18.18 Gerriet Danz

Von wegen „Kreativ-Meeting“ und Ideen produzieren von 10 Uhr bis 13 Uhr, auf Teufel komm raus – die meisten Geistesblitze schlagen dann ein, wenn man nicht unbedingt damit rechnet: Archimedis nahm gerade ein Bad, als er auf die Lösung der Frage kam, ob die neue Krone des Königs auch tatsächlich aus reinem Gold angefertigt worden war. Wenn dem nämlich so sein sollte, musste der majestätische Kopfschmuck ja genauso viel Wasser aus einem Gefäß verdrängen, wie ein Goldbarren mit dem gleichen Gewicht! So etwas KANN einem fast nur in der Wanne einfallen!

Laut einer Umfrage des EMNID-Instituts küsst die Muse die meisten Menschen im Gespräch mit Freunden. Knapp die Hälfte der Befragten gab an, schon mal eine zündende Idee beim Sport gehabt zu haben und auch Musikhören scheint durchaus inspirierend zu wirken. Ein Viertel der Menschen war im Traum mit neuen Gedanken versorgt worden und immerhin 19 Prozent ging es ähnlich wie dem guten, alten Archimedes: Sie hatten in der Dusche kreative Einfälle. Genannt wurden außerdem noch Eingebungen beim Genuss eines herrlich kalten Bieres oder eines guten Glases Wein, sowie beim Beten. Was fällt uns auf? Genau, sehr häufig scheint sich Kreativität dann Bahn zu brechen, wenn wir eigentlich auf etwas ganz anderes konzentriert sind – oder sogar einfach einmal gar nichts tun. Aber wer lässt es im Zeitalter von Dauerdigitalisierung und Smartphone-Abusus schon noch so weit kommen?

Daniel Willingham von der Universität von Virginia veröffentlichte kürzlich in der New York Times die Erkenntnis, dass Handys uns die Langeweile nehmen – so weit, so schlecht. Denn wir brauchen anscheinend genau diesen Zustand, um dem Gehirn eine Pause zu bescheren, in der ein Geistesblitz einschlagen kann. Motto: Keine Auszeit, keine Blitze! Wie beschrieben, schlagen die ja gerne mal bei geistiger Entspannung, also während der beschriebenen Routinearbeiten oder eben beim Sichlangweilen ein. Schauen Sie einmal beim Zugfahren aus dem Fenster! Wenn Sie nicht gerade ein geübter Meditationsmensch sind, der sein Bewusstsein in Windeseile auf ZEN stellen kann, werden Sie es gar nicht verhindern können, dass Ihr Gehirn Sie mit einem Gedankenkarussell belohnt.

Als sie feststellte, dass sie sich beinahe ein Jahrzehnt nicht mehr gelangweilt hatte (nämlich seitdem sie ihr erstes Handy bekommen hatte), entwickelte die amerikanische Journalistin Manoush Zomorodi kurzerhand einen Sechs-Stufen-Plan für sich selbst und ihre Mitmenschen. Mit dessen Hilfe soll es möglich sein, den Handyherausholreflex wieder in den Griff zu bekommen. Es lohnt sich wirklich, es einmal auszuprobieren:

Tag 1: Lassen Sie das Handy in der Tasche, während Sie unterwegs sind. Nein, auch nicht „mal eben kurz nur …“

Tag 2: Heute verzichten Sie darauf, Fotos mit dem Handy zu machen.

Tag 3: Löschen Sie eine App, die Sie besonders häufig nutzen.

Tag 4: Checken Sie weder Mails noch Soziale Netzwerke.

Tag 5: Richten Sie den Blick bewusst auf die Dinge, die Ihnen mit dem Blick auf das Handy entgangen wären; betrachten Sie Ihre Umgebung.

Tag 6: Setzen Sie einen große Topf mit Wasser auf und schauen Sie ihm zu, bis es kocht.

Es mag banal klingen, aber es hat eine große Wirkung. Ich wage zu behaupten, dass es Sie erstaunen wird, wie groß der Handysog ist – oder, wie es das kleine Kind beschrieb, dass ich neulich in einem Café bei einem Gespräch mit seiner Mutter belauschte: „Ich wollte ja gar nicht so lange auf dem Handy spielen, Mami, aber das ist, wie Schlange Kaa – ich konnte einfach nicht mehr weggucken.“

Es ist nicht verwunderlich, dass sogenannte Digital Detox Camps den Nerv unserer durchdigitalisierten Zeit treffen. Die Idee stammt ironischerweise aus dem Ursumpf für mobile Betriebssysteme: Apple und Google bestücken inzwischen gemeinsam über 90 Prozent aller Smartphones weltweit mit Betriebssystemen aus dem Silicon Valley, dem Hauptstandort der amerikanischen IT-Branche. Und längst kommt es auch hierzulande en vogue einfach mal eine „Digitaldiät“ zu machen (meine Assistentin Anika hat sie sich übrigens selbst verordnet und fährt dieses Jahr auf die weitestgehend Handyempfangslose Hallig Langeneeß – wo ich sie schon vor meinem geistigen Auge auf dem letzten Deichzipfel nach Empfangsbalken haschen sehe…)

Auf professionell organisierten Offline-Touren, muss der Informationsjunkie alles, was nur irgendwie digital tickt, in einem „Dekontaminationsraum“ einschließen lassen. Während seines Aufenthaltes darf er sich nicht über Arbeit, Alter, Namen oder Drogen mit den anderen Detox-Willigen austauschen. Das klingt viel mehr nach Strafanstalt, als es eigentlich ist. Denn bei diesen Kuren soll vor allem der Genuss im Vordergrund stehen. Wer beachtet auch seine Ernährung, wenn er „nebenbei“ 24/7 im Internet surft, noch mal schnell eine Mail beantwortet, Facebook ckeckt oder SMS scheibt? Eben! Gleichgültig, ob die Off-Zeit im Kloster stattfindet, in einem kleinen Hideaway, einem Sternerestaurant oder auf einer entlegenen Insel: In Workshops lernt man, seine digitalen Appendixes sinnvoll und effektiv zu benutzen. Und auch Tipps zum Thema “ausgewogene Ernährung” werden geliefert, weil dies großartigen Einfluss auf das Konzentrationsvermögen und das allgemeine Wohlbefinden hat. Für Zuhause gibt’s im Anschluss noch einen Zehn-Punkte-Plan, den der geläuterte Detoxer idealerweise fest in seinen Alltag außerhalb des netzlosen Exils integriert. So läßt sich nämlich andauernde Produktivität und Zufriedenheit langfristig aufrecht erhalten. Wer neugierig geworden ist, sein User-Verhalten ändern oder einfach nur sein Ändern leben will, wird unter http://thedigitaldetox.de fündig und bekommt vielleicht noch einen Platz im nächsten Offline-Camp.

Übrigens ist die Erkenntnis gar nicht so neu: Das menschliche Gehirn produziert im EEG auffallend viele Alphawellen – wenn es den kreativ unterwegs ist. Das entdeckte Colin Martindale, Professor an der University of Maine, bereits Mitte der 1970 Jahre. Und diese Hirnaktivität gewinnt immer dann an Fahrt, wenn wir die Augen schließen. Schon schließt sich wieder ein Kreis zwischen Kreativität und Entspannung.

Für mich gibt es einen Menschen, der wie kein anderer für analoge Entschleunigung steht: Meine Großmutter, über die ich hier am Ende dieses Artikels erzählen möchte. Sie sagte immer, man würde die wahre Intelligenz eines Menschen an dem erkennen, was er täte, wenn er sich langweile. Mittlerweile verstehe ich immer mehr, was sie eigentlich damit meinte. Und dabei waren Smartphones noch gar kein Bestandteil ihres Weltbildes. Als ich kurz vor ihrem Tod einmal zu ihr sagte, es wäre doch sehr schade, dass sie kein W-Lan habe, meinte sie: „Das kommt gar nicht in Frage, hier steht schon genug rum!“ – in gewisser Hinsicht hatte sie damit vollkommen Recht.

Marken machen Ideen.

26.11.2015 // 10.29 Gerriet Danz

Erinnern Sie sich noch an diesen Schlachtruf eines Werbefilmchens in den frühen 1990er Jahren, für eine bekannte Frühstücks-Cerialien-Marke? „… die wecken den Tiger in Dir!“ versichert da die fröhliche, energiegeladene Raubkatze dem kleinen Jungen, der Dank täglichen Genusses der überzuckerten Flakes-Milch-Matsche plötzlich in der Lage sein soll, ein Tor für seine Eishockeymannschaft zu erzielen. Für eine Mannschaft, die ihn nicht nur vor dem Genuss des Produktes verhöhnt hatte, sondern spätpubertär, viel älter und größer war als unser kleiner Held. Schon krass, wozu Mais in der Lage ist: Mit diesem Frühstück, so merkten wir uns damals, kann ich alles schaffen. Bestimmt haben einige von Ihnen jahrelang mit Maisflakes den Tag begonnen und nie den Tiger in sich entdeckt – oder etwa doch?

Ein paar Jahrzehnte später können wir noch einmal etwas ganz Ähnliches beobachten: Auf geht’s, lassen Sie uns Äpfel mit Birnen vergleichen! Kennen Sie ihn auch, diesen immerwährenden Disput zwischen Apple-Anhängern und PC-Befürwortern? Meine Mutter, die jenseits von 40+ mit Computern zu hantieren begann, kann sich heute noch abendfüllend darüber ereifern, warum ein Windows-Betriebssystem bei einem Klick auf START heruntergefahren wird.

Und wenn man einmal ganz ehrlich ist: Natürlich zeigen Marken oftmals eine Haltung, wenn nicht sogar eine Lebenseinstellung – das fängt bei dem an, was zum Frühstück auf dem Tisch steht, geht über das Duschgel und Kosmetikprodukte bis in jedes noch so kleine Detail unseres täglichen Lebens. Und nun ist es auch noch amtlich: Die Marken, mit denen wir uns umgeben, beeinflussen ganz unbewusst unser Denken und Handeln – dieser Umstand wurde längst wissenschaftlich bewiesen.

Zurück zum Zank-Apple: Neben all den mehr oder weniger emotionalen und rationalen Gründen für die Wahl von digitalen Gefährten in Freizeit und/oder Beruf, kippen die Forschungsergebnisse von Gráinne Fitzsimons, University of Waterloos in Kanada, Tanya Chartrand und Gavan Fitzsimons (Duke University in Durham, USA) weiteres Öl ins Diskussionsfeuer: Der Apple-Slogan „Think Different“ scheint tatsächlich seine magische Wirkung nicht zu verfehlen; Apple-Jünger sind kreativer als Nutzer anderer Betriebssysteme oder Computer.

In ihrer Studie untersuchten die Wissenschaftler, inwiefern Logos von verschiedenen Computermarken einen Einfluss auf die kreativen Leistungen ihrer Probanden haben würden. Die Testpersonen bekamen für 13 Millisekunden auf einem Bildschirm das Markenzeichen von Apple, beziehungsweise der Computerfirma IBM, zu Gesicht – das ist eine Zeitspanne, die so kurz ist, dass man das Gesehene allenfalls mit dem Unterbewusstsein wahrnehmen kann. Im Anschluss sollte eine klassische Kreativitätstestaufgabe gelöst werden: Die Probanden wurden gebeten, so viele Verwendungsmöglichkeiten wie möglich für einen Ziegelstein zu erdenken. Nicht nur, dass die Apple-Logo-Inspirierten deutlich mehr Vorschläge präsentierten, als die IBM-Logo-Sichter. Sie unterbreiteten auch signifikant ungewöhnlichere und kreativere Lösungen der Ziegelstein-Challenge.

Die Forscher erklärten dieses Ergebnis damit, dass die Allgemeinheit der Menschen das Symbol mit dem angebissenen Apple im Geiste mit Kreativität assoziiert und auch damit, anders zu sein als der Mainstream. Und alleine der Anblick dieses Logos kitzele folglich das kreative Denkvermögen der Probanden, was wiederum zu einer Steigerung der kreativen Handlungsbereitschaft führt. Will sagen: Wer von einem scheinbar kreativen Produkt inspiriert wird, denkt und handelt in Folge kreativer. „Design oder Nicht-Sein?“ könnte folglich die Gretchenfrage des 21. Jahrhunderts lauten.

Was können Sie also tun? Umgeben Sie sich einfach dort mit Marken, die Sie mit Kreativität assoziieren, wo Sie kreativ arbeiten wollen – das kann ein Disney-Motiv an der Wand sein (wer’s mag), ein paar LEGO Bausätze oder auch einfach die eigene Garderobe, die man am Körper trägt (wobei schon eine Jeansmarke ein Lebensgefühl vermittelt, es muss gar nicht immer Lagerfeld oder Dolce & Gabbana sein).

Oder aber – aufgemerkt: Sie sorgen einfach für ein bisschen mehr Unordnung in Ihrer Arbeitsumgebung. Ja, richtig gelesen. Das kreative Chaos trägt seine Bezeichnung nämlich zu recht, wie eine Studie von Kathleen D. Vohs und Kollegen an der Universität Minnesota ans Tageslicht brachte. Die Wissenschaftler befanden, dass Probanden in Papier übersäten Zimmern im Schnitt fünfmal so viele Ideen produzierten, wie Testpersonen in akkurat aufgeräumten Zimmern. Die Erklärung der Forscher: Unordnung unterstützt Menschen dabei, mehr Abstand von Konventionen, Ordnung und Tradition zu nehmen – und genau das braucht kreatives Überdentellerranddenken! Das Durcheinander wirkt offensichtlich anregend und inspiriert uns, neue Impulse zu setzen.

Ein Trost für alle, die sich so gar nicht mit Unaufgeräumtheiten um sich herum anfreunden mögen: Herzlichen Glückwunsch, Ihre Spendenbereitschaft für soziale Projekte ist, statistisch gesehen fast doppelt so hoch, wie die Ihrer unordentlichen Mitmenschen; außerdem ernähren Sie sich höchstwahrscheinlich auch noch gesünder!
Ordnungsliebe geht nämlich Hand in Hand mit einer eher konservativen Lebenshaltung, bei der Großzügigkeit und eine gesunde Lebensweise wichtige Rollen spielen. Es wäre natürlich sehr schwarz-weiß gesehen, wenn man das Ganze in gute Unordnung und schlecht Ordnung einteilen würde, weil letztlich beide Varianten – ganz individuell und typbedingt – förderliche, hemmende oder auch gar keine Folgen haben kann, wie auch die Forscher einräumten.

Bevor ich nun in mein Büro gehe, um ein paar gezielte Unordnungsakzente zu setzen, kurz noch ein Schwur: Ab jetzt werde ich nie mehr von meiner Tochter verlangen, sie möge ihr Zimmer endlich mal wieder aufräumen … Denn wie sagte schon der König der unaufgeräumten Schreibtische, Albert Einstein: „If a cluttered desk is a sign of a cluttered mind, then what are we to think of an empty desk?”

Innovation – Lockstoff statt Killer!

07.10.2015 // 10.44 Gerriet Danz

Dass Geld nicht glücklich macht, dürfte eine allgemeine Weisheit sein. Dass es dennoch beruhigt, stimmt allerdings auch oft. Manchmal beruhigt es allerdings auch die Kreativität – oder tötet sie sogar. Wie jetzt: Geld frisst Kreativsein?! Ganz genau: Studien haben ergeben, dass Mitarbeiter, die mit Bonuszahlungen für ihre geschäftlichen Abschlüsse belohnt werden, lieber auf Nummer Sicher gehen, um die begehrte Prämien auch in der nächsten Auszahlungsrunde wieder zu ergattern. Nicht nur, dass sie aufhören, ihr Wissen mit anderen zu teilen. Sie wiederholen außerdem das vormals bereits erfolgreiche Verhalten, dass zum zusätzlichen Geldsegen führte – und büßen dabei ihre Risikobereitschaft ein. Jedes Wagnis, jedes Abweichen vom Pfad des bisherigen Strebens, könnte schließlich das zusätzliche finanzielle Bonbon kosten! Auch in Schulen kann man dieses Phänomen beobachten. Nämlich genau dann, wenn die Fixierung auf Noten die Schüler ihre kreative Motivation kostet – weil es ihnen nur darum geht, in den Klausuren und Arbeiten möglichst gut bewertet zu werden. Oder von Mutti oder Vati für die Eins einen Zehner abzuzocken.

Mut zur Lücke und Risikofreude sind jedoch unabdingbar für Kreativität und Innovationsgeist.

Teresa Amabile, Autorin und Professorin für Business Administration an der Harvard Business School, widmet sich seit mehreren Jahrzehnten intensiv der Frage, wie alltägliche Abläufe in Organisationen und Unternehmen die Leistungen der Beschäftigten beeinflussen. In ihrem Buch „The Progress Principle: Using Small Wins to Ignite Joy, Engagement, and Creativity at Work“ wertete sie weit mehr als 10.000 Tagebucheinträge von über 200 Menschen aus, die in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen kreativ tätig waren. Sie stellte dabei fest, dass die Tagebuchschreiber in der Regel kaum Gedanken an ihre Bezahlung verschwendeten – und die es taten, waren deutlich weniger kreativ. Mit finanziellen Mittel lässt sich Kreativität eben nicht locken. Vielmehr entstehen Anreize, wenn den kreativen Köpfen die nötigen Ressourcen geboten werden: genügend Zeit für die schöpferischen Prozesse und ein hohes Maß an Autonomie. Den überdurchschnittlich Kreativen und Erfolgreichen war es viel wichtiger, Fortschritte zu erzielen, die sie selbst als sinnvoll und relevant befanden. Relevant war für sie auch, dass ihre Ideen von anderen (natürlich auch Vorgesetzen!) aufgegriffen und unterstützt wurden. Arbeitgeber und Führungspersönlichkeiten sind also gut beraten, ein Gleichgewicht aus Fordern und Fördern im den kreativen Arbeitsalltag zu unterstützen, beziehungsweise es herbeizuführen.

Dabei ist auch wichtig, dass Anforderungen die Möglichkeiten des Einzelnen weder übersteigen noch unterfordern – Überforderung und Langeweile sind nämlich Kreativitätskiller.

Apropos „Killerkompetenz“: Manche Menschen glauben, sie brauchen eine Deadline im Nacken, um kreativ zu sein. Meine Vermutung 1: Sie sind die berühmten Ausnahmen von der Regel. Vermutung 2: Sie haben noch nie den Vergleich gezogen, was sie mit ein wenig mehr Zeit kreativ hervorbringen würden. Denn Frau Amabile bescheinigte den Teilnehmenden an ihrer Studie einen rapiden Abfall an Kreativität, war erst einmal Zeitdruck mit von der Partie. Sobald die Zeit fehlt, sich mit einem Thema intensiv auseinander zu setzen, Ideen sich entwickeln zu lassen, zwischendurch Abstand zu nehmen, bewusst Perspektivwechsel herbeizuführen, sinkt der kreative Output. Selbst an den Tagen nach dem Wettlauf gegen die Uhr waren die Versuchspersonen oft signifikant unproduktiver.

Dann wäre da noch die alte Binsenweisheit, Konkurrenz belebe das Geschäft. Was Kreativität betrifft – Fehlanzeige! Je schärfer der Wettbewerb untereinander, desto größer die Blockade für Innovation. Amabiles Erkenntnis: Der Schlüssel für Erfolg liegt in der Intensität der Zusammenarbeit. Die kreativ-produktivsten Ergebnisse lagen demnach immer vor, wenn während des Arbeitsprozesses genug Vertrauen vorhanden war, sich untereinander auszutauschen, Ideen zu diskutieren und auf diese Art gemeinsam etwas zu entwickeln.

Und macht Not nun eigentlich erfinderisch? Jein: Sicher kommen einem in Anbetracht der eigenen existenziellen Bedrohung lebensrettende Blitzideen, aber für die tägliche Schöpfungskraft ist das Funktionieren auf Rückenmarksniveau nicht empfehlenswert. Schließlich reduziert sich das Gehirn bei Angst und Bedrohung einfach auf seine Urreflexe: Totstellen, Angreifen oder Fliehen. Nachvollziehbarerweise zeigten sich fast alle Tagebuchschreiber der Studie kreativer, in Lebensphasen, in denen sie ausgeglichen, entspannt und glücklich waren.

Der Erfolg viele Erfinder wächst auf einem simplen Nährboden: Ihr Tatendrang und ihr schier unbändiger Durst nach neuen Ideen und Erkenntnissen bescherte ihnen ungewöhnliche, noch nicht dagewesene Einfälle. Und die führen dann und wann zu bahnbrechenden Innovationen. Die Studienergebnisse von Amabile belegen überdies, dass ein hohes Maß an persönlicher Motivation mangelndes Wissen und ein von Haus aus kleines kreatives Potential durchaus wettmachen kann.

Wer den Kreativitäts- und Innovationspegel in seinem Unternehmen hochhalten möchte, lässt Mitarbeitern am besten möglichst viele Freiheiten bei der Gestaltung ihrer Arbeit. Das bedeutet, sie bekommen zwar einen Arbeitsauftrag („Zaun aufbauen!“), aber das Wie bleibt den Leuten selbst überlassen. Wie bereits anhand der Studien von Amabile aufgezeigt, können die Bereitstellung von Ressourcen, zusätzlicher Zeit und mehr Autonomie beim Arbeiten einiges zur Kreativitäts-Stimulanz beitragen.
Nicht häufig genug erwähnt werden kann außerdem der Apell an Führungskräfte, neuen Ideen und Gedanken mit Wertschätzung zu begegnen. Und noch beser: selbst voranzugehen, Widerstände innerhalb des Unternehmens von den Menschen fern halten, die kreativ und innovativ arbeiten sollen.
Das von Führungskräften gestaltete Arbeitsumfeld hat direkten und großen Einfluss auf die Motivation der Mitarbeiter – im positiven wie auch im negativen Sinne. Die persönliche Motivation wiederum wirkt sich auf die Kreativität des Einzelnen aus.

Es lohnt sich, in diesem Zusammenhang die Zwei-Faktoren-Theorie des US-Psychologen Frederick Herzberg im Hinterkopf zu haben: Die Motivation von Mitarbeitern wird nach seiner Auffassung durch zwei unterschiedliche Faktorengruppen bestimmt: Es gibt einerseits Motivatoren, also Anreize, die im direkten Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit stehen, wie z.B. Arbeitsinhalte, Erfolge oder Verantwortungsübernahme. Andererseits gibt es Hygienefaktoren, die nicht im direkten Zusammenhang mit der Arbeit stehen. Zu ihnen zählen u.a. die Sicherheit des Arbeitsplatzes, soziale Beziehungen und Status. Letztere werden als selbstverständlich angesehen. Fehlen sie, folgt Unzufriedenheit. Doof jetzt: Sie fehlen oft! Viel ist schon gewonnen, wenn sich Unternehmen weniger auf Motivationssteigerung besinnen, als eher auf das Abstellen von Demotivation, das die Menschen blockiert. Da kann ein „mal machen lassen“ deutlich wirkungsvoller sein, als eine Prämienzahlung von YX Euro. Was im Ergebnis sowohl den Chief Innovation Officer freuen wird – aber auch den einen oder anderen CFO!

Ihr Hirn auf Flip-Flops denkt besser.

29.09.2015 // 09.27 Gerriet Danz

Entspann dich!!! Eine herrliche Aufforderung, der man so oft, so gerne so-fort nachkäme – wenn man nur wüsste, wie. Und wie man nicht andauernd noch mal schnell 178 Mails checken und nebenbei die Welt retten müsste! Kann man machen, muss man im Allgemeinen auch, aber im Interesse der Kreativität empfehlen sich gezielte und regelmäßige Auszeiten vom oftmals täglichen Survival-of-the-Busyiest-Geschäft. Für all diejenigen unter Ihnen, die ihre kreativen Pausen nicht nur vor sich selbst, sondern auch vor anderen rechtfertigen müssen, hier ein paar sehr nachvollziehbare Argumente, wie Sie Ihr Hirn mal in den Flip-Flop-Modus bringen:

1. Stress, Angst und Nervosität helfen der Kreativität in etwa so viel, wie Betonschuhe beim Schwimmen. Bitte beachten Sie die Dreifaltigkeit der Kreativitätskiller: Evolutionsforscher gehen davon aus, dass wir, beziehungsweise unsere sehr behaarten Vorfahren, Emotionen auch dafür entwickelten, um das Denken und Handeln effektiv anzupassen. In potentiell gefährlichen Situationen richten wir deswegen unsere Aufmerksamkeit darauf, Schaden von uns abzuwenden. Will sagen: Wenn der Säbelzahntiger kommt, ist es von der Natur verdammt zielführend eingerichtet, dass wir Adrenalin ausschütten und schnell reagieren. Alles, was jetzt nicht zum Flüchten oder Kämpfen benötigt wird, funktioniert praktischer Weise einfach nicht mehr. Und das gilt auch für alle Begegnungen mit Säbelzahntigern 2.0, wie Zeitnot oder Existenzangst. Wenn Sie also Ihr Leben retten müssen, werden Sie nicht zeitgleich ein neues Google entwickeln. Wenn Sie Ihren Pilotenschein machen, können Sie nicht gleichzeitig einen Roman schreiben. Und während Sie als Beifahrer unter der wirren Fahrweise eines Taxifahrers leiden, werden Sie nicht gleichzeitig ein Brainstorming über neue Vertriebsideen anstimmen.

2. Entspannung sorgt dafür, dass unser Fokus sich vergrößert. Wir können mehr Eindrücke aufnehmen, auf uns wirken lassen und auf ganz neue Ansätze kommen. Und Entspannung lässt uns in Kontakt mit unserer Intuition kommen, die wiederum von elementarer Bedeutung für die Entfaltung kreativen Potentials ist, weil wir rein intuitiv Beziehungen zwischen Sachverhalten herstellen, aus denen sich dann etwas neues entwickeln kann. Denken Sie an den Deo-Roller, der auf dem Schreibtisch des Software–Entwicklers stand und ihn zur ersten Computer-Maus inspirierte (falls Sie so eine Maus noch besitzen, drehen Sie sie mal um – na, an was erinnert Sie die Kugel?)

3. Wer grundsätzlich entspannt ist, kann auch entspannt reagieren, wenn es im Innovationsprozess einmal nicht so läuft. Bedeutet: Er oder sie können beispielweise gut mit Frustration umgehen und sind relativ schnell in der Lage, wieder eine positive Grundstimmung zu erzeugen. Die emotionalen Bewältigungsstrategien eines entspannten Menschen sind in der Regel ausgeprägter. Laut Studienergebnissen von Prof. Dr. Nicola Baumann von der Universität Trier und ihres Kollegen Prof. Julius Kuhl von der Universität Osnabrück, bedarf es schon ein gewisses Maß an Gelassenheit und Entspanntheit, um eigene Wünsche, Bedürfnisse, Ziele und Wertvorstellungen in sein Handeln zu integrieren. Was könnte beflügelnder sein?! Praktisch könnte das beispielsweise bedeuten, Arbeitsgruppen zu bilden und so dem Bedürfnis nach interkollegialem, aber auch einfach zwischenmenschlichem Austausch zu entsprechen und gleichzeitig seine Arbeit zu erledigen. Was durch Verknüpfungen von Ideen und Gedanken zu völlig neuen Ansätzen
führen kann.

4. Entgegen dem landläufigen Hohelied auf die Konzentration (Schulsystem lässt grüßen!), belegen inzwischen diverse Forschungsergebnisse, dass milde Tagträume zumindest der Kreativität deutlich besser auf die Sprünge helfen. Natürlich ist es gut, wenn man sich auf eine Sache fokussieren kann, sich nicht ablenken lässt, auch für kreatives Arbeiten braucht man zweifelsohne Disziplin und Durchhaltevermögen. Sogar Thomas Edison, angeblicher Erfinder der Glühbirne und Inhaber von über 1000 Patenten, behauptete, Kreativität bestünde zu einem Prozent aus Inspiration und zu 99 Prozent aus Transpiration.
Nun aber kommt das große Aber: Oft bedeutet Fokussierung und ungeteilte Konzentration eben leider auch, taub zu werden für Spontaneingebungen, blind für Geistesblitze und nicht gerade offen für Inspiration von außen zu sein.

Wer von Ihnen gerade vor einem Computer sitzt, kann gleich einmal den Test machen, BEVOR er weiterliest: www.youtube.com/watch?v=vJG698U2Mvo

In dem Versuch der Kognitionspsychologen Christopher Chabris und Daniel Simons von der Harvard University rennt ein Gorilla durch das Bild und kaum jemandem fällt es auf, eventuell verlässt auch einer der Spieler das Feld während des Spieles und der Hintergrund ändert seine Farbe (all diese Dinge passieren in verschiedenen Anordnungen des bekannten Gorilla-Experiments) – OHNE, dass man es mitbekommt. Und obwohl man meint, konzentriert bei der Sache zu sein. Wie soll es dann erst kreativen Einfällen ergehen, die einen in tiefer Konzentrationsfixiertheit anfliegen? Ein anderes berühmtes Beispiel ist das Ei des Kolumbus: Da konzentriert sich – so will es die Anekdote – eine ganze Meute Gelehrter auf die Problemstellung, ein Ei auf die Spitze zustellen, sieht quasi den Wald vor lauter Bäumen nicht, weil die Konzentration zu groß ist, um quer zu denken und muss dann zusehen, wie Kolumbus das gekochte Ei beherzt auf den Tisch schlägt, wodurch es natürlich eindrückt und auf der Spitze stehen bleiben kann. Manchmal kann das Loslassen ohne gänzlich abzuschalten eben den Durchbruch bringen. Und übrigens: Die Entschlüsseldung der menschlichen DNA ist weder in einem Labor noch in einem Meetingraum und auch nicht in einsamen Büros gelungen – sondern ganz entspannt zwischen zwei Tennismatches. Satzball für die Forschung!

5. Studien zeigen, dass Alkohol einen positiven Effekt auf die Kreativität hat – offenbar, weil er entspannt, indem er die Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt. Man kann zwar nicht jedem Vorgesetzten plausibel machen, dass man deswegen sein Feierabendbier nun in die Morgenstunden verlegt, aber tatsächlich fanden Andrew F. Jarosz, Gregory J.H. Colflesh und Jennifer Wiley von der University of Illinois in Chicago heraus, dass ihre Probanden mit 0.75 Promille intus signifikant schneller waren und bessere Ergebnisse beim Remote Associates Test (kurz: RAT) erzielten, als un-alkoholisiert. Der RAT wurde 1962 von Mednick & Mednick entwickelt und gilt bis heute als valides Messinstrument kreativen Potentials. Dem Probanden werden drei, nicht mit einander verwandte, Wörter präsentiert und er muss ein viertes finden, dass mit allen dreien assoziierbar ist – Beispiel: Schweiz, Hütten, Kuchen; Lösung: Käse. Oder: Humor, Nacht, Farbe; Lösung: schwarz. Leider gibt es den RAT bisher nur für Menschen, die der englischen Sprache mächtig sind, aber die Universität Freiburg im Breisgau scheint nach meinen Informationen derzeit an einer deutschen Variante zu arbeiten.

Zweifelsfrei gibt es viele Momente, in denen Konzentration und damit verbundene Nicht-Kreativität nicht nur im eigenen Interesse, sondern auch für die Existenz der Mitmenschen interessant ist, also bitte überdenken Sie kurz, in welchem Rahmen Sie das Kreativ-Trinkgelage ausprobieren wollen.
Ich jedenfalls werde nun die Pro-Entspannungsliste mit einem Gin Tonic an meiner Seite beenden – und nur fürs Protokoll: ich sitze auf meiner Terrasse, es ist 21 Uhr und ich bin eigentlich im Urlaub … Zum Wohl!

Sprache. Macht. Innovativ.

24.09.2015 // 18.33 Gerriet Danz

Unsere Sprache beeinflusst unseren Blick auf die Welt. Die Muttersprache formt und prägt unser Gehirn, unsere Denkweise. Diese Theorie ist alles andere als neu. Schon Johann Gottfried Herder und Wilhelm von Humboldt vertraten Mitte des 18. Jahrhunderts die Auffassung, dass Sprache und Denken in einem engen Zusammenhang zueinander stehen. Relativ neu jedoch ist, dass man sich dieses Wissen effektiv zu Nutze machen kann – und zwar zur Stimulation seiner Denkereien und zum Anfachen kreativer Feuerwerke.

Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Sprechen selbstverständlich keine absolute Voraussetzung zum Denken darstellt – schließlich können auch Babys oder stumme Menschen denken. Aber laut Sprachpsychologin Lera Boroditsky von der Stanford University versetzt die Möglichkeit zu sprechen Menschen in die Lage, Ideen unendlich neu zu kombinieren und aus ihnen fortwährend Neues zu kreieren. Auf diese Weise könnten wir sogar über Sachen sprechen, die es gar nicht gibt. Demzufolge ermöglicht Sprache grenzenlose Kreativität und Innovationskraft.

Oft merken wir gar nicht, wie sehr Sprache uns auch manipulieren kann. In Untersuchungen wird beispielsweise offenbar, dass Gerichte, die angeblich nach „Großmutters Rezept“ zubereitet wurden, bei der Bewertung besser abschneiden als exakt das gleiche Essen ohne den Oma-Bonus auf der Speisekarte. Oder dass ein „Tropical“-Tee von Testtrinkern geschmacklich als “fruchtig-exotisch” beschrieben wird – eine Beurteilung, die derselbe Tee mit dem Namen „Kaminabend“ nicht bekommt. Dabei hatte sich an dem Tee nur der Name geändert, ansonsten handelte es sich um exakt die gleiche Sorte.

Dass der Name eben Programm ist und daher auch die Namenswahl für den Nachwuchs bitte mit Bedacht getroffen werden sollte, dürfte hinlänglich bekannt sein. Nicht nur der Volksmund hält „Kevin“ inzwischen mehr für eine Diagnose als für einen durchschnittlichen Vornamen. Tatsächlich belegen Untersuchungen, dass erst Lehrer und später potentielle Bewerbungskomitees den Sophies, Alexanders und Charlottes mehr zutrauen, sie von vornherein für intelligenter halten, als Ronnys, Mandys und Chantalles. Die Vorklassifizierung im Gehirn geschieht sogar noch detaillierter: Frauennamen, die auf a enden, schaffen im Allgemeinen die Erwartungshaltung, dass es sich bei der Namensträgerin natürlich um eine Person mit guter Auffassungsgabe handelt. Übrigens heißt meine Assistentin Anika 😉 Gute Wahl, wie sich herausstellte.

Die alltäglich gesprochene Sprache steuert Aufmerksamkeit und Denkweisen in eine bestimmte Richtung. Der israelische Linguist Guy Deutscher betrachtet in seinem Buch “Im Spiegel der Sprache” die Muttersprache als eine Linse für unsere Weltanschauung. So scheint beispielweise das Geschlecht der Dinge zu bestimmen, welche Attribute wir ihnen zuordnen. Wie jetzt? Fragt man zum Beispiel einen Deutschen, mit welchen Eigenschaften er DIE Brücke oder DIE Gabel beschreiben würde, liefert er in der Regel Ausdrücke, die eher ins Feld typisch weiblicher Adjektive fallen. Beispiel: „schön“ oder „elegant“. Spanier hingegen, assoziieren mit „el puente“ (DER! Brücke) und „el tenedor“ (DER! Gabel) eher männliche Wörter wie „stark“ und „gewaltig“.

Und auch in einem anderen Versuch wird dieses Phänomen bestätigt: Man bat Franzosen und Spanier für einen Film – lassen wir es einen Zeichentrickfilm sein – Synchronstimmen für Gegenstände auswählen. Wieder zeigte sich, dass die Artikel in der jeweiligen Sprache den Ausschlag für die Stimmenwahl gaben: DER spanische Gabel sollte männlich synchronisiert werden, während DIE französische Fourchette eine Frauenstimme bekommen sollte.

Das Gehirn nutzt also – je nach Sprachprägung – bestimmte Filter. Außerdem liebt es Bilder. Ein Umstand, den jeder gute Redner, jeder, der sein Publikum beeindrucken möchte, kennen sollte: Das menschliche Gehirn mag Geschichten und freut sich über Metaphern. Sie legen die Filmrollen ins eigene Kopfkino ein und setzen Gedächtniszellen in die erste Reihe vor die Leinwand.

Lera Boroditsky wies in einem Experiment nach, wie signifikant Metaphern das Denken beeinflussen: Den Teilnehmern ihrer Studie wurde eine Geschichte vorgelegt, in der es um Kriminalität in einer Stadt ging. Bis auf einen einzigen Satz, nämlich den ersten, lautete der Text bei allen Testpersonen identisch. In diesem ersten Satz hatten die Forscher für die eine Hälfte der Gruppe als Metapher für Kriminalität die Bezeichnung “wildes Tier” gewählt. Bei der anderen Hälfte war von einem “Virus” die Rede. Nach der Lektüre wurden die Probanden aufgefordert, Ideen zu notieren, wie man der beschriebenen Kriminalität Herr werden könnte. Und siehe da: Die Vorschläge der Testpersonen haben sich deutlich von einander unterschieden! Die als „wilde Tiere“ auf der Fährte der Kriminalität waren, sprachen von einer “Hetzjagd”, “Einsperren” und “strikteren Gesetzen”. Die andere „Virus“-Gruppe versuchte Kriminialität durch “präventive Maßnahmen” wie “Aufklärung” und verbesserte Bildung einzudämmen.

Lera Boroditsky bescheinigt Metaphern eine große Macht über unser Unterbewusstsein. Je nachdem, welches Bild vom Sprecher benutzt wird, spinnen sich in den Gehirnen der Zuhörenden in rasender Geschwindigkeit zahllose Assoziationen zu einem Gedankennetz – in dem sich Informationen verfangen. Informationen, die nicht in dieses Konzept passen wollen, werden allerdings umso schneller fallen gelassen. Was zur Folge haben kann, dass mitunter wichtige Faktoren überhört werden. Metaphern können eben beides: Verankern und Vertuschen.

Auch die räumliche Wahrnehmung wird sprachlich beeinflusst. Stephen C. Levinson vom Max Planck Institut für Psycholinguistik in niederländischen Nijmegen verbrachte einige Zeit in einer Aborigines-Gemeinde, deren Sprache keinerlei relative räumliche Positionen kennt: Links, rechts, vor, hinter kenn man nicht – stattdessen gibt es absolute Bezeichnungen, nämlich Himmelsrichtungen. Da wird ein Buch, je nach Sitzposition des Lesenden, von Ost nach West gelesen – statt von vorn nach hinten. Deswegen können schon kleine Kinder, die in dieser Sprache aufwachsen, im Schlaf die Himmelsrichtung anzeigen. Für jede Erlebnisschilderung muss sich der Aborigine also während des Geschehens seiner Himmelsrichtungen bewusst sein. Was dafür sorgt, dass er sich diese schon automatisch immer vergegenwärtigt.

Neben der räumlichen Orientierung scheint Sprache noch Auswirkungen zu haben auf die Fähigkeit, Farben nuanciert zu sehen – und auf die Bewertung von Situationen sowie Mitmenschen. Wieder war es Lera Boroditsky, die herausfand, dass Russen mehr Blautöne beschreiben können als Amerikaner (solange man sie nicht mit Rechenaufgaben ablenkt, aber das ist eine andere Geschichte). Und dass Engländer mehr darauf erpicht sind, die handelnde Person bei einem Geschehen zu beschreiben, während Japaner eher darauf achten, was mit den Gegenständen in einer Situation passiert. Während der Engländer also sagt: „Simon hat das Glas umgestoßen“, würde der Japaner eher äußern, dass das Glas sich umgeworfen hat.

Ein großes Geschenk haben Menschen bekommen, die bilingual aufgewachsen und/oder in mehreren Kulturen zu Hause sind. Ihre Assoziationen und Denkarten sind quasi breiter aufgestellt, sie nehmen die Dinge und Geschehnisse durch mehr als nur eine Linse wahr. Wer nicht von vornherein in den Genuss von Zweisprachigkeit kam, kann durchaus nachrüsten. Der Weg: im fortgeschritteneren Alter noch fremde Sprachen lernen und sich damit über den Tellerrand des gewohnten Denkens hieven! Mehr Sprachen bedeuten automatisch verschiedene Sichtweisen und damit verbunden auch mehr Perspektiven sowie stärkeres Innovationsdenken. Ob das wohl auch für den Fremdsprach-Klassiker Frau-Mann, Mann-Frau gilt?

Kreativ im Schlaf?

12.07.2015 // 16.12 Gerriet Danz

An Sätzen, wie „Den seinen gibt’s der Herr im Schlaf“ oder „Das sollte man noch mal eine Nacht drüber Schlafen“ ist wirklich etwas dran – vor allem, wenn es ums Kreativsein geht.

Kennen Sie diesen Moment beim Einschlafen oder vielmehr beim Hinübergleiten vom Wachzustand ins Traumland, wenn man plötzlich das Gefühl hat, zu stolpern und die Beine dann tatsächlich zucken, weswegen man plötzlich kurz wieder wach ist? Dieses Phänomen des Bewusstseinsabtauchen heißt Hypnagogie und ist ein Beispiel für die Art von Pseudo-Halluzination, die uns Morpheus mitunter beschert, wenn er uns kurz aus seinen Armen lässt. Nämlich dann, wenn sich das Bewusstsein gerade in eine andere Dimension verabschiedet. Beim Einschlafen scheint es etwas häufiger vorzukommen, aber auch des Nachts kann der eine oder andere ein Lied davon singen, wie es ist, mit einem Bild oder einem Gefühl aus dem Schlaf zu fahren. Manchmal dauert es eine Weile, bis man sich im Klaren darüber ist, ob man eigentlich noch träumt oder schon wieder im Hier und Jetzt angekommen ist. Rund 70 Prozent der Menschheit erlebt regelmäßig diesen Übergang, der nicht nur von namhaften Künstlern effektiv genutzt wird. Verantwortlich für das stufenweise Abgleiten des Bewusstseins ist ein Teil des Hirnstammes, der hemmende Botschaften gen höhere Hirnregionen und Rückenmark sendet, damit das Kopfspektakel langsam heruntergefahren wird und die Muskulatur erschlafft. Je stressiger der Tag war oder je mehr Filme noch im Kopfkino laufen, desto vielschichtiger und ungeordneter läuft auch das Herunterfahren des menschlichen Systems ab.

Nun lassen sich diese Zustände übrigens auch bewusst und gezielt herbeiführen – und methodisch nutzen. Sie sind sogar eine gebräuchliche Kreativtechnik. Es heißt, das Unterbewusstsein wäre in der Phase zwischen Wachen und Schlafen offener, Ideen und Eingebungen würden weniger streng bewertet und Assoziationen wären fließender. Auch sollen die Vorstellungen wesentlich bildhafter und sinnlicher auftauchen.

Sie können es ganz einfach ausprobieren: Legen Sie sich dafür entspannt hin und schließen Sie die Augen. Denken Sie intensiv an das, was Sie beschäftigt, das Problem, für das Sie eine Lösung suchen, die Fragestellung, für die Sie eine Eingebung brauchen. Durch diese intensive gedankliche Auseinandersetzung mit dem Thema, versucht man im Folgenden, die Problemstellung vom Hallo-Wach-Zustand mit in den Dämmerschlaf zu nehmen.

Nun ist da noch die Schwierigkeit, nicht ganz und gar einzuschlafen, denn das, was Sie brauchen liegt nun einmal kurz vor dem Schleier des Vergessens. Wer „richtig“ einschläft, geht nicht über „Los“, darf keine Ideen einkassieren und muss noch einmal von vorne anfangen. Um das zu vermeiden, gibt es mehr oder weniger brutale Tipps: Ein Großonkel von mir hielt sich immer ein Buch vors Gesicht, das ihm auf selbiges fiel und ihn aufweckte, sobald er die magische Grenze überdämmerte. Salvador Dali soll das Gleiche mit einem Teelöffel praktiziert haben. Sie können aber auch einfach einen Schlüssel in die Hand nehmen (oder etwas anderes, was im Fall es Falles geräuschvoll zu Boden gehen würde) und es so halten, dass es auch wirklich fallen kann, wenn sich Ihr Griff lockert. Das Geräusch wird Sie ins Hier und Jetzt zurückholen und sie können mit einem bereitgelegten Stift sofort alles zu Papier bringen, was Ihnen in diesem Schwebezustand zwischen HIER und DA in den Sinn kam.

Forscher der Universität Leiden fanden heraus, dass auch verschiedene Formen von Meditation kreativ machen kann, und zwar auch Menschen, die keinerlei Erfahrung oder gar Routine auf dem Feld der Meditation haben. Lorenza Colzato und Dominique Lippelt bescheinigten der sogenannten Open Monitoring Meditation, bei der die Meditierenden sich offen und empfänglich halten für jede Art von Gedanken und Empfindung, einen durchaus positiven Effekt auf das divergente Denkvermögen der Probanden. Das heißt, sie waren im Anschluss an die Mediation in der Lage sehr viel mehr verschiedene Ergebnisse Lösungsansätze für eine Problemstellung zu finden, zum Beispiel: Wofür kann man eine Gabel benutzen?
Nach einer Focused Attention Meditation hingegen, bei der sich ausschließlich auf einen spezifischen Gedanken konzentriert wird, konnten die Wissenschaftler keinen Effekt auf die Kreativität der Meditierenden nachvollziehen.

Der Unterschied, zwischen der Konzentration auf eine Problemstellung vor Eintritt in diesen Zustand, und klassischen Meditationsformen besteht in der Rolle des Unterbewusstseins. Das darf nämlich bei der nicht kontrollierbaren ersten Variante quasi nackt über eine grüne Wiese rennen und Babygänseblümchen pflücken, während es bei der Mediation von einem gar gestrengen Fräulein-Bewusstsein Rottenmeier im Zaum gehalten wird (für alle diejenigen, die in ihrer Kindheit niemals die Bekanntschaft von Johanna Spyris Heidi, dem Geißen-Peter und dem Alpöhi machen durften: Fräulein Rottenmeier war Mensch gewordene Disziplin in Gestalt einer hauslehrenden Gouvernante).

Professor Ap Dijksterhuis ist Sozialpsychologe und widmet der tragenden Rolle des menschlichen Unterbewusstseins ein ganzes Buch mit dem Titel „Das kluge Unbewusste“. Dijksterhuis zur Folge stehen Ratio und Verstand in Form des Bewusstseins dem potentiellen Blüten des Unterbewussten regelrecht im Weg. Dabei kann es Dinge, zu denen sein gestrenger Aufpasser nicht in der Lage ist, mehrere Dinge gleichzeitig in Angriff nehmen, zum Beispiel. Das Unterbewusstsein springt von Thema zu Thema und ist blitzschnell, intuitiv unterwegs. Wer unterbewusst handelt, folgt einem Instinkt, anstatt die dinge mit dem Kopf anzugehen und durch Nachdenken zu lösen. Dadurch agiert er oft sicherer, da Nachdenken tendenziell zu Verunsicherungen beim Denkenden führt. Das Bewusstsein arbeitet systematisch, langsam und präzise. Es sammelt im Grunde alles, was das Unterbewusstsein beim Kreativsein wieder verbraten kann. Denn, wer kreativ ist, muss etwas Neues erschaffen und keinen Abklatsch von etwas anderem in die Welt bringen, dazu braucht es Über-den-Tellerrand-Denkkapazität und die gibt es nur unbewusst. Deswegen kommen gute Ideen auch so häufig in Momenten, wenn das Bewusstsein gerade mit etwas anderem beschäftigt ist, beim Duschen zum Beispiel oder während eines Spazierganges. Man kann es sich zu Nutze machen, dass das Unterbewusstsein in all seiner Flippigkeit so gerne zielorientiert funktioniert. Das bedeutet, man kann ihm eine Aufgabe – ein Ziel – setzen und etwas Zeit geben, und es wird alles daran setzen, eine Lösung zu finden. Der Faktor „Zeit“ wird dabei häufig unterschätzt: Geben Sie sich und Ihrem Unterbewusstsein Zeit für kreative Prozesse – je mehr, desto besser und desto besser auch das Resultat. Wichtig ist auch, dass die Aufgabe für das Unterbewusstsein so spezifisch, wie möglich ausformuliert ist, sonst kommt es auf seiner Ideensuche nicht weit. Praktischerweise kann das Unterbewusstsein mit sehr viel mehr als einer Aufgabe „beladen“ werden, und während es damit beschäftigt ist, können Sie sich entspannt jeder anderen Routinearbeit zuwenden – oder Sie schlafen einfach noch mal eine Nacht drüber!

Raus aus der Schublade! Rein in die Idee!

12.07.2015 // 16.06 Gerriet Danz

Unser Gehirn liebt Schubladen. Und genau die muss man fortwährend versuchen, aufzureißen, aufzuräumen, sie notfalls radikal umzudrehen und auszukippen, um kreativ zu bleiben. Ich weiß, bequem geht anders. Alltag, Routine, Komfortzone und Gewohnheiten sind das Killerkommando für Kreativität. Die findet genau dort und dann statt, wenn diese Jungs so fern wie möglich sind.

Im Virtual-Reality-Labor der niederländischen Universität Nijmegen haben die Professorin Simone Ritter und der Programmierer Jeroen Derks einen Parcours durch eine virtuelle Welt geschaffen, auf dem die Space-bebrillten Besucher fortwährend überrascht werden können. In seinem Buch “Und plötzlich mach es Klick!” beschreibt Autor Bas Kast, dass Testpersonen einen virtuellen Raum erleben, in dem die physikalischen Gesetze, wie beispielsweise die Schwerkraft, nicht mehr zu gelten scheinen. Die zugrundeliegende These der Forscher besagt, dass die Denkmuster einer Person sich flexibilisieren, wenn diese mit Geschehnissen konfrontiert werden, die nicht den Erwartungen des Gehirns entsprechen – da macht ein Gegenstand schon viel her, der, wenn er umgestoßen wird, anstatt erwartungsgemäß vom Tisch zu fallen, stattdessen gen Zimmerdecke abhebt.

Für alle möglichen Situationen legen wir im Laufe unseres Lebens Schemata und Skripte in unseren Köpfen fest; eine gewisse Erwartungshaltung, die – zumindest was Naturgesetze betrifft zu einhundert Prozent und ansonsten auch mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit – erfüllt wird. Deswegen ist kein großes Nachdenken mehr für die Abläufe ums Aufstehen, Zähneputzen, Körperpflege, Anziehen (nun ja, mal mehr und mal weniger) und Frühstücken nötig. Das alles geht ziemlich von selbst. Dabei würde, wenn diese Routineabläufe durch irgendetwas Unerwartetes, vielleicht sogar etwas Ungewöhnliches, gestört würden, unmittelbar der kleine Kreativitätsgenerator zwischen den Ohren anspringen.

Stellen Sie sich bitte einmal vor, wie viele Überraschungen ein Baby jeden Tag erlebt. Es ist zum Schwindeligwerden, wenn man sich einmal klarmacht, welch eine Vielzahl von Eindrücken tagtäglich auf jemanden einprasseln muss, der kaum festgelegte Schemata in seinem Kopf hat. Was bedeutet das für uns? Richtig: Je älter wir werden, desto mehr Routinen legen wir uns zu, desto mehr läuft nach Plan und desto weniger Hallo-Wach-Surprise-Alles-anders-als-gedacht-Momente tauchen in unserem Alltag auf. Und was heißt das für unser Vermögen, das kleine Kreative zwischen den Ohren auf Trab zu bringen? Genau, das Kreativsein wartet in dem ganzen Nach-Plan-Existieren noch immer geduldig darauf, das man es mal wieder braucht beziehungsweise auf einen Anschubser.

Und wehe, wenn es losgelassen! Ein einfacher Test, den Simone Ritter und ihre Kollegen im Anschluss an den Aufenthalt im Virtual-Reality-Labor mit ihren Probanden durchführen, zeigt, wie sehr sich das schlummernde Kreativum über einen Wake-Up-Call freut: Auf die simple Frage “Was macht Geräusche?” geben diejenigen, die im Labor eine Erschütterung ihrer Annahmen und Skripte erlebt hatten, nicht nur viel mehr Antworten, sondern auch vielfältigere als die Vergleichsgruppe, die auf ihrem Weg durch die virtuelle Welt keinerlei Überraschungen und Abweichungen von ihren Erwartungen erlebt. Letztere kommen auf der Suche nach Geräuschquellen meistens auf wenig mehr als ein paar laute Verkehrsteilnehmer, während Antworten der Überraschten weit reichen: Stiefelschritte im Schnee, das Geräusch, wenn man einen Mückenstich kratzt, fließendes Wasser, Geschirrspülmaschinenausräumgeklapper und und und. Die Skript-Störung hat ihre Fantasie beflügelt und für einen Kreativitätsschub gesorgt.

Warum trainieren eigentlich so wenig Menschen ihre Kreativität, obwohl sie selbst angeben, sie zu brauchen? Wer merkt, dass er unfit wird, schleppt das welke Fleisch doch irgendwann auch zum Sport. Raus aus der Routine, rein in den Schemata-Schreck! Da nicht jeder unbedingt Platz für ein Virtual-Reality-Labor im Keller hat (da stehen ja schon der Cross-Trainer und die Ruderbank), müssen Alltagsüberraschungen her – und die gute Nachricht lautet: Das ist gar nicht soooo schwer! Der Trick besteht darin, zunächst ein bekanntes Schema in Gang zu setzen – und es dann auf den Kopf zu stellen, indem man es durchbricht. Beispiel: Die allmorgendliche Prozedur ab dem Aufstehen bis zum Ausdemhausgehen. Ich wette, Sie erledigen alle Abläufe in einer festen Reihenfolge – und ja, es bleibt sinnvoll, erst zu duschen und sich danach anzuziehen. Aber warum nicht mal Frühstück oder jedenfalls den obligatorischen Kaffee und das Anziehen tauschen? Man startet anders in den Tag und kommt auf neue Ideen. Versprochen.

Falten Sie doch einmal die Hände. Welcher Ihrer Daumen liegt oben, der rechte oder der linke? Wissen Sie, dass Sie Ihre Hände immer auf die gleiche Art falten? Probieren Sie es doch einmal bewusst anders herum, also wenn eben Ihr linker Daumen oben lag, liegt da nun der rechte. Und, fühlt sich bestimmt komisch an – oder zumindest ungewohnt, nicht wahr? Das Resultat ist das gleiche. Es gibt eine Therapiemethode, die nicht nur professionellen Musikern und Sportlern Aha-Erlebnisse beschert, sondern jeden von uns über körperliche Erfahrung umdenken lässt: Feldenkrais. Dabei lernt man, eingeschliffene Bewegungsmuster, die nicht selten zu Beschwerden führen, wenn man die 40 schon hinter sich gelassen hat, zu erkennen und zu verändern. Eine spannende Erfahrung – und ganz sicher nicht nur körperlich.

Zum Schluss möchte ich zu der wohl schönsten Art kommen, auf die man sein Kreativsein fordern und fördern kann: Das Reisen. Reisen hilft, weil es auf mehr als nur eine Art den Horizont erweitert. Zum einen kann man sich in anderen Ländern mit fremden Sprachen umgeben (wozu das gut ist, erfahren Sie in einer der nächsten Geschichten), zum anderen muss man sich tagtäglich neu orientieren. Vorausgesetzt, man lässt sich auf das Neue ein und besucht kein germanische Schnitzelrestaurant auf balearischen Inseln. Das bedeutet, dass Gewohnheiten durch Überraschungen ersetzt werden – mitunter auch solchen, auf die man gerne verzichten würde – wie jeder weiß, der seinen Magen auf fernöstlichen Reisen schon einmal mit lokalen Delikatesse herausgefordert hat. Allerdings zwingen auch solche Erlebnisse dazu, kreativ zu werden.

An der französischen Business School Insead, sowie an der amerikanischen Northwestern Universität fanden internationale Teams von Forschern Folgendes heraus: Je länger Menschen sogar im Ausland gelebt hatten, desto besser und schneller waren sie in der Lage, kreative Problemstellungen zu lösen. Sie waren zu flexiblerem Denken in der Lage als diejenigen, die stets und ständig in der gleichen Umgebung, beziehungsweise Kultur gelebt hatten. Wer nun nicht noch einen anderen Grund zum Auswandern hat, kann ja jetzt einmal überlegen, wohin die nächste Reise gehen soll – ich für meinen Teil, lasse mir sicher wieder schnellstmöglich spanische Sonne ins Gesicht scheinen.