Danzblog

Innovation Expert. Speaker.

Talk to Moby Dick!

03.10.2023 // 18.10 Gerriet Danz

In den vergangenen Wochen haben wir gesehen und gehört, dass KI uns in Videos lippensynchron ganz einfach nahezu alle Sprachen der Welt sprechen läßt. Wie schön wäre es, in Zukunft durch AI mit anderen Lebewesen kommunizieren zu können. Zum Beispiel mit Walen 🐳. Ich habe mich gefragt, welche Vorteile das hätte – ein Gedankenspiel. Erstens: Die Kommunikation mit Walen könnte dazu beitragen, die Umweltauswirkungen des Menschen auf Ozeane und Meereslebewesen besser zu verstehen. Wenn Wale in der Lage wären, uns Informationen über die Gesundheit der Meere 🌊 und mögliche Bedrohungen mitzuteilen, könnten wir wirksameren Umweltschutz 🌱 betreiben. Zweitens: Die Kommunikation könnte dazu beitragen, bedrohte Walarten besser zu schützen. Durch das Verständnis ihrer Verhaltensmuster, ihres Fortpflanzungsverhaltens und ihrer Wanderungsrouten könnten Schutzmaßnahmen gezielter eingesetzt werden, um den Fortbestand dieser Tiere zu sichern. Drittens: Vermeidung von Kollisionen zwischen Walen und ⛴ Schiffen. Wenn Wale Schiffen mitteilen könnten, dass sie sich in der Nähe befinden, könnten Schiffe ihre Geschwindigkeit reduzieren oder Kursänderungen vornehmen, um Kollisionen zu verhindern. Viertens: Forschung und Wissenschaft. Ein Dialog mit Walen könnte bahnbrechende Einblicke in das Verhalten, die Sozialstruktur und die Ökologie dieser Tiere ermöglichen. Dies würde nicht nur unser Verständnis für die Meeresumwelt vertiefen, sondern auch dazu beitragen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. Fünftens: 🎓 Bildung und Sensibilisierung: Eine direkte Wal-Mensch-Kommunikation würde die Öffentlichkeit für den Schutz der Ozeane und der darin lebenden Tiere sensibilisieren. Die Erforschung der Walkommunikation könnte in Bildungsprogramme einfließen und das Bewusstsein für die Bedeutung des Umweltschutzes stärken. Man stelle sich nur vor, Kinder könnten im Unterricht einen 👨🏽‍💻 Zoomcall mit einem Wal durchführen. Ich wäre gern dabei, wenn Moby Dick die Geschichte aus seiner Sicht schildert. #nachhaltigkeit #talktomoby #innovation #ki #vortrag

Produktiver Kannibalismus: metaphysic.ai

26.09.2023 // 12.46 Gerriet Danz

Unternehmen tun gut daran, sich regelmäßig neu zu erfinden💡. Netflix zum Beispiel hat sich viermal neu erfunden – gestartet als Logistik-Dienstleister, der DVDs in Pappboxen per Post durch die Gegend schickte, sind sie heute ein veritabler Teil von Hollywood: Ein ehemaliger Logistiker gewinnt heute Oscars 🏆– verrückt! Doch nicht nur betagte oder mittelalte Unternehmen erfinden sich neu. Auch gerade erst erfundene wandeln sich – kurz nachdem sie gegründet wurden. Ein Beispiel: metaphysic.ai. Vielleicht hast du ja mal die Deep-Fake-Videos von Tom Cruise bei Instagram gesehen (#deeptomcruise). Der Schauspieler macht dort ziemlich durchgeknallte Dinge vor der Kamera. Aber der Tom ist nicht der Tom. Er ist eine 100%ige AI-Illusion – mit allen Vorteilen und Nachteilen. Denn in der Filmbranche wächst die Sorge vor Deepfakes ebenso wie in der Politik und Wirtschaft, bringt doch die digitale Manipulation von Gesichtern und Stimmen hohe Risiken⚡️ und Missbrauchspotenzial mit sich. Zum Beispiel, wenn Aussagen von Politikern gefaked werden. Wenn dem US-Präsident plötzlich Worte, in den Mund gelegt werden, die er nie gesagt hat. Dieser Gefahr tritt jetzt ausgerechnet metaphysic.ai entgegen – der Meister der digitalen Avatare dreht sein Geschäftsmodell auf den Kopf. Und entwickelt ein Tool, das vor Deepfakes schützt🛡. Nutzer können Fotos von ihren Smartphones hochladen oder sich in einem speziellen Studio scannen lassen, deren Daten dann in einer sicheren Datenbank landen. Erste User sind Hollywood-Größen wie Tom Hanks und Anne Hathaway. Metaphysic.ai ermöglicht Benutzern die volle Kontrolle über die Merkmale, die zur Schulung eines KI-Modells mit Physis und Stimme erforderlich sind. Die Datenbank dient dabei als sicherer Tresor für den digitalen Zwilling. Ähnliche Ansätze gibt es auch am MIT in Boston. „Photoguard“ soll verhindern, dass KI-Tools Fotos einer Person manipulieren: Die Nutzung von Fotos für Deepfakes wird damit erheblich verkompliziert. Metaphysic.ai geht jedoch noch einen Schritt weiter, denn Benutzer können die in der Datenbank gespeicherten Merkmale wie Gesicht und Stimme gegen Bezahlung freigeben.

Beharrungsenergie.

19.09.2023 // 09.57 Gerriet Danz

Viele wollen ja das Rad 🛞 neu erfinden, dabei ist es schon rund 6000 Jahre her, seit es Transport und Mobilität radikal verändert hat. Man vermutet allerdings, dass das Rad schon damals so neu gar nicht wahr. Denn der Mühlstein war schon vorher erfunden worden. Was man also gemacht hat: Man den Stein aus der Horizontalen ➡️ in die Vertikale ⬆️ gebracht und ihm eine neue Aufgabe gegeben: Radeln statt Mahlen. Soll heißen: Wandel ist so alt wie die Menschheit. Und noch viel älter. Denn 99 % aller Lebewesen 🦖, die jemals auf diesem Planeten gelebt haben (auch schon, bevor wir hier unseren Einfluss geltend gemacht haben) wurden gewandelt, disruptiert, also: ausgerottet – und von anderen, für die Zeit passenderen Tierchen ersetzt. Ähnliches passierte mit dem Buchdruck, der Dampfmaschine, dem Webstuhl, der Elektrizität 🔌, dem Telefon, dem Computer, dem Internet und dieser KI, über die gerade alle sprechen. Immer gleich: Beharrungsenergie 🫣. Wir wollen das nicht! Erst einmal. Weil es doch auch ohne geht. Und weil das Neue immer Energie zehrt. Bis uns die Vorteile auffallen. Beispiel Bildung: Online-Bildungsplattformen wie Coursera, edX und Udacity haben den Zugang zur Hochschulbildung globalisiert und demokratisiert, stellen traditionelle Bildungsinstitutionen vor ernste Herausforderungen. Zahlungsanbieter wie 💶 Paypal ermöglichen Echtzeitüberweisungen, wo klassische Banken immer noch bis zu drei Tage für brauchen. Netflix gibt kreativen Filmschaffenden unglaubliche Freiheiten beim Erzählen von Geschichten 🎬 – es entstehen Serien und Blockbuster, die im klassischen Kino nie erzählt worden wären. Airbnb gibt meiner Frau 💃🏻 und mir die Chance, unser Townhouse auf Mallorca weltweit zu vermieten – wir lernen Gäste aus aller Herren Länder kennen, neue Freundschaften entstehen, die in klassischen Hotels nie entstanden wären (by the way, das hier ist das Haus: http://www.townhouse-mallorca.vom, falls jemand von der ganzen Wandelei müde und urlaubsreif ist). Also: Wandel ist eh immer, bleibt nur eines: mitwandeln! Macht das Leben spannend, interessant – und zukunftssicher.

Science Fiction wird Fakt.

05.09.2023 // 09.27 Gerriet Danz

Wie soll man auf neue, freie Ideen kommen, wenn man beim Denken schon keine Freiheit hat? Nach dem Motto: “Das geht bei uns nicht…!” oder “Das passt nicht zur Marke!” oder noch schlimmer: “Was hast du denn genommen?” Und wer hat die größte Denkfreiheit, wenn es um neue Ideen geht? Fiction-Autoren! Bestes Beispiel: Die Autoren von “Raumschiff Enterprise”🚀 in den 1960er Jahren. Die futuristische Serie, die erstmals 1966 ausgestrahlt wurde, präsentierte nicht nur aufregende Abenteuer im Weltraum🪐, sondern erstaunlicherweise auch eine Vielzahl von utopischen Erfindungen, die später in der realen Welt Wirklichkeit wurden. Ein Beispiel ist das Kommunikationsgerät, das in der Serie als “Communicator” bekannt wurde. Dieses “Handy”, das es den Charakteren 👨🏾‍🚀👩‍🚀 ermöglichte, miteinander zu sprechen, wurde zum Klapphandy🤳 – allerdings erst 30 Jahre später. Ein weiteres beeindruckendes Beispiel ist der “Tricorder”, ein vielseitiges Dingsbums, das in der Serie zur Analyse von Objekten, Lebensformen und Umgebungen👽 verwendet wurde. Heute erinnert der “Tricorder” an medizinische Diagnosegeräte, die Ärzten helfen, schnelle und genaue Informationen über den Gesundheitszustand von Patienten zu erhalten. Oder der sogenannte “Phaser”, der scheinbar einen Design-Einfluß auf so manche Heißklebe-Pistole genommen hat 😉 Ein besonders aufschlussreiches Beispiel für die Vorwegnahme von “Star Trek” ist die Entwicklung der “Tablet”-Computer. Die Crewmitglieder der Serie interagierten oft mit flachen, tragbaren Bildschirmen, die verdächtig an moderne Tablets erinnern. Diese Vorstellung hat definitiv die Entwicklung von Geräten wie dem iPad beeinflusst, auch wenn 🍏Apple mit der ersten “Newton”-Version gescheitert ist und erst Jahre später (klüger) einen Welterfolg feierte. Was lernen wir daraus? Je mehr Freiheit🗽 zum Rumspinnen wir haben, umso höher die Chance, auf wirklich neue Ideen zu kommen. Wohl auch ein Grund dafür, das manches Unternehmen Science-Fiction-Autoren festangestellt beschäftigen. Unter der Fragestellung: Wie sieht unser Unternehmen in 100 Jahren aus? Mehr dazu in meinem Vortrag “Utopie macht Umsatz!”.

InNOvation meets Bedenken-Träger

21.02.2017 // 17.43 Gerriet Danz

Da ich ja viel davon rede und schreibe, wie Innovationen und neue Idee auf Gegenwind von Bedenkenträgern stoßen, habe ich im Folgenden einmal meine Lieblings-Scheiter-Weiter-Geschichten zusammengetragen. Manche sind kürzer, andere länger. Gemeinsam haben sie, dass Menschen, Ideen, Werke oder Erfindungen abgelehnt wurden, die sich zum Glück im Nachhinein als bahnbrechend erwiesen. Ich hoffe, sie machen Ihnen Mut. Mut, eine Idee auch dann weiterzuverfolgen, wenn man Ihnen vehement davon abrät. Den Gegenwindlern mag man zugutehalten, dass die Ablehnung schon im Wort steckt: In-NO-vation. Aber, wie bereits geschrieben: Bleiben SIE bitte innovativ! Und denken Sie immer daran, dass Sie sich in guter Gesellschaft befinden, wenn eine Ihrer Ideen auf dem Markt erst einmal keinen Applaus erntet.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Albert Einstein als „Technischer Experte 3. Klasse“ beschäftigt. Ein Titel, der dem späteren Erdenker der Relativitätstheorie und Nobelpreisträger zwar nicht gerecht wurde. Er gab ihm aber andererseits genügend Freiraum, sich neben seiner Arbeit noch andere Gedanken zu machen. Wer weiß schon, ob ihn der Geistesblitz sonst vielleicht gar nicht getroffen hätte!

An einem trüben Wintertag des Jahres 1903 saß Mary Anderson in einer New Yorker Straßenbahn und sah dem Fahrer dabei zu, wie er ein ums andere Mal aussteigen musste, um die Frontscheibe des Gefährtes zu säubern. Schnee nahm ihm immer wieder die Sicht. Nicht nur, dass die Fahrt sich auf diese Weise unnötig in die Länge zog, der jungen Dame wurde durch das ewige Raus und Rein des Fahrers auch empfindlich kalt. Wieder zu Hause, machte sich Mary Anderson Gedanken, wie sich die Scheiben eines Fahrzeuges von innen bei widrigen Wetterverhältnissen sauber halten ließen. Das Ergebnis war ein Hebel mit einem schwingenden Arm samt Gummilippe – oder eben auch die erste Scheibenwischanlage der Welt! Anderson ließ sich ihr Modell für 17 Jahre patentieren (falls Sie es nicht wissen sollten, Patente kosten ein Heidengeld). Sie bot ihren Scheibenwischer auch einem großen kanadischen Unternehmen an, das ihn allerdings ablehnte, weil die Erfindung angeblich keinen kommerziellen Wert hätte. Leider hat diese Geschichte kein happy end: Das Patent lief aus, die Automobilindustrie nahm in jeder Hinsicht Fahrt auf und es dauerte gar nicht lange, da gehörten Scheibenwischer zur Standartausrüstung jedes Fahrzeuges.

Die Amerikanerin Marion Donovan hatte vielleicht ein Erfindergen mit auf die Welt bekommen, denn auch ihr Vater hatte auf dem Gebiet der Neuentdeckungen einiges zu bieten. Für die kleine Marion war es also ganz selbstverständlich, dass ständig etwas um sie herum neu erfunden, ausprobiert, wieder verworfen oder auch ergänzt wurde. Alltäglich war für Sie auch, dass man ein Patent anmeldete, wenn man etwas für besonders gelungen hielt. Sie selbst brachte es immerhin in ihrem Leben auf insgesamt 12 Patente. Ihre wohl bekannteste Entdeckung haben zumindest die Eltern unter uns schon einmal in der Hand gehabt (und dabei innerlich der Erfindern gedankt, dass es heutzutage Wegwerfwindel gibt, die einem stundenlanges Auskochen und wunde Babyhintern ersparen). Als Marion Donovan in den 1940’er Jahren für ihre Kinder die ersten Überhosen aus Duschvorhängen nähte, wurden diese noch mit Sicherheitsnadeln zusammengehalten. Schnell verfeinerte sie ihre Arbeit und fertigte die sogenannten „Boater“ aus Fallschirm-Nylon und mit Druckknöpfen. Der Absatz war riesig. Als waschechte Innovateuse entwickelte Marion Donovan ihre Idee natürlich weiter und suchte unablässig nach einer Papiersorte, die es schaffen sollte, die Feuchtigkeit von der Haut der Zöglinge wegzuleiten: Die junge Mutter war quasi auf dem Weg zur Wegwerfwindel. Papierfabrikanten, denen sie ihr Produkt schließlich anbot, winkten jedoch müde ab und ließen verlauten, dass eine Serienherstellung viel zu kostenintensiv wäre. Ein Jahrzehnt später, machte ein Chemieingenieur von Procter & Gamble mit einer Hose namens Pampers (aus billigem Kunststoff, Krepppapier und Viskose, übrigens wieder zusammengehalten mit Sicherheitsnadeln) ein Vermögen.

Den Beatles gaben zwei Musikmanager aus London Mitte der 1960’er Jahre zu verstehen, dass Gitarrengruppen schon bald nicht mehr angesagt wären und dass man lieber eine ortsansässige Band unter Vertrag nähme als eine aus Liverpool. Typischer Fall von „falsch gedacht“. Wir wissen alle, was aus den Beatles und ihrer Gitarrenmusik wurde. Und die beiden Manager würden sich heute vielleicht noch im Grab umdrehen, um sich in den eigenen Hintern zu beißen. Wenn sie nicht auch diejenigen gewesen wären, die nur ein Jahr später zumindest bei den Rolling Stones Potential erkannten und diese unter Vertrag nahmen.

Pop-Art Künstler Andy Warhol schenkte zu Beginn seiner Karriere dem Museum of Modern Art in New York das Bild The Shoe. Und wurde postwendend angerufen und gebeten, das Werk wieder abzuholen. Man hätte keinen Platz dafür, auch nicht im Lager. In den folgenden Jahren kaufte das Museum einige Werke Warhols für zig tausende Dollar.

Es gibt eine sehr lange Reihe von Autoren, die in erster, zweiter und auch achter Instanz keinen Verlag fanden, der sich für ihre Manuskripte interessierte. Sie werden es kaum glauben, aber Moby Dick, Das Parfum und auch Der Name der Rose haben ebenso eine Odyssee hinter sich, wie Harry Potter. J.K. Rowling sagte man, ihr Manuskript sei zu lang, nicht kommerziell interessant und obendrein politisch nicht korrekt. Hätte nicht die achtjährige Tochter eines Verlegers die Geschichte in die Finger bekommen und ihrem Papa pausenlos in den Ohren gelegen. Sie wollte nämlich wissen, wie es mit Harry und seinen Freunden weitergeht. Dies war der eigentliche Grund dafür, dass Vatern das Geschäft seines Lebens machte. Die sieben Bände wurden bis heute in 65 Sprachen übersetzt und über 400 Millionen Mal verkauft. Frau Rowling gilt als die erste Schriftstellerin, die mit ihrer Arbeit mehr als eine Milliarde Dollar verdient hat. Und wussten Sie, dass der Bestsellerautor John Grisham sein erstes Buch selbst drucken ließ und es aus dem Kofferraum seines Wagens heraus verkaufte, weil er keinen Verlag gefunden hatte?

Auch der Sport kennt Fälle von Talentverkennung: Der Basketballer Michael Jordan flog aus seinem Highschool-Basketball-Team. Und auch Torwartlegende Oliver Kahn hörte häufig, dass er nicht gut genug sei. Das, was ihm vielleicht an Talent fehlen mochte, kompensierte Kahn allerdings durch beispiellose Beharrlichkeit und einen Feuereifer, mit dem er alle um sich herum entfachte und inspirierte. Seine sportlichen Erfolge sprechen inzwischen eine deutlichere Sprache, als die Unkenrufe der Vergangenheit.

Der Film Slumdog Millionaire gewann acht Oscars. Die Produktionsfirma hatte jedoch nicht so richtig an den Erfolg geglaubt und die Rechte vor dem Erscheinen des Films zum Verkauf angeboten. Glück im Unglauben: Sie verkaufte lediglich 50 Prozent ihrer Anteile.

Zum Schluss noch etwas Bemerkenswertes zum Thema Innovationen aus Deutschland: Laut dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, ist Deutschland europaweit führend, was die Beteiligung an Innovationen betrifft. Wir haben hier im Vergleich die meisten Forschungsunternehmen und nicht nur eine ausgeprägten Intensität von Innovationen, sondern verbuchen auch die meisten Innovationserfolge.
Dennoch ziehen Asiaten und Amerikaner immer wieder an uns vorbei. Grund hierfür könnte, einer Untersuchung zur Folge sein, dass Innovationsprozesse hierzulande nicht schnell und effizient gehandhabt werden. Ängstliches Zögern und Abwägen ist häufiger an der Tagesordnung als „einfach mal ausprobieren“.

Ähnliche Historien haben auch das Fax, der Scanner und der erste funktionierende Computer Europas vorzuweisen. Allesamt sind sie deutsche Erfindungen, die letztlich von Japanern und Amerikanern zu Innovationen gemacht wurden. Jedes Mal verpassten Deutsche die Gelegenheit, obwohl sie die eigentliche Arbeit längst geleistet hatten.

Der Hybridmotor? 1973 an der TH Aachen entwickelt – und liegengelassen. Vor nicht langer Zeit hergestellt von Toyota.

MP3? Ende der 1990er eine technische Errungenschaft des Fraunhofer-Instituts Brandenburg. Das Potential erkannt und umgesetzt haben wiederum Asien sowie natürlich: the famous Steve Jobs.

Angesichts dieser Beispiele wird klar, dass es nicht nur reicht gute Ideen zu haben, man muss sich auch trauen sie umzusetzen. Etwas weniger deutsche Gründlichkeit und Bedenkenträgerei und etwas mehr Mut zur Lücke und Bereitschaft zum Risiko. Bitte, bleiben Sie innovativ!

Innovation braucht Arschtritt.

21.02.2017 // 17.32 Gerriet Danz

Na, sind Sie jetzt wach? Gut, dann hat meine kleine literarische Entgleisung genau das getan, was sie sollte: Der Huch-Moment hat eine gewisse Grenze überschritten. Der Phönix braucht die Asche. Die Neuausrichtungen braucht den Punkt, an dem es nicht mehr so weitergeht wie bisher. Wenn nichts mehr geht, geht doch noch mindestens eines – und zwar meistens sehr gut: Innovation. Und es ist sogar die Regel, dass Innovationen nicht aus der Komfortzone heraus entstehen. In meinen Vorträgen spreche ich deswegen auch manchmal vom „Tod in der Sänfte“. Den sterben nämlich diejenigen, die sich auf ihren Lorbeeren ausruhen. Es gibt dann scheinbar keinen Druck, etwas neu oder anders zu machen, wenn alles gerade prima funktioniert. Eine ähnliche Geschichte mag die Telefonzelle auf der Denkmalssäule erzählen, die ich jüngst in Berlin sah. Telefonzellen überleben bis in alle Ewigkeit, oder etwa nicht? Vielleicht dachten das auch die Dinosaurier – wenn das mit dem Denken damals überhaupt funktionierte. Wer es jedenfalls ganz bestimmt auch so hielt, waren Firmen wie Nokia, Kodak und Sharp (letztere sind die Jungs, die das LCD-Fernsehen erfanden) – allesamt Vorreiter einer bestimmten Technologie und doch inzwischen weit weg vom Fenster. Es gibt natürlich inzwischen auch Unternehmen, die es gar nicht mehr so weit kommen lassen und bei denen Innovationen quasi zum Alltagsgeschäft gehören. Sie versuchen fortwährend, innovativ zu bleiben. Viele von diesen Firmen sitzen im Silicon Valley – aber eben nicht nur dort.

Wenn Sie selbst schon einmal an einer Innovation beteiligt waren, erinnern Sie sich bestimmt auch an das Ach-und-Weh-Geschrei von den sogenannten „Bedenkenträgern“. Das setzt immer dann ein, wenn etwas Neues ausprobiert werden soll. Völlig normal. Was meinen Sie, wie es R.J. Reynolds Anfang des 20. Jahrhunderts ging, als er die Idee hatte, fertig gerollte Zigaretten in Packungen abzufüllen und zu verkaufen? Damals konnte sich wirklich niemand vorstellen, dass jemand freiwillig auf das amüsante Rollen seiner Glimmstängel verzichten würden. Und dann auch noch dafür bezahlen? Eine kreative Werbekampagne und ein Jahr später hatte der findige Amerikaner 425 Millionen Zigarettenpackungen seiner „Camels“ verkauft. Ging eben doch!

Es heißt, Innovation hätte nichts mit dem richtigen Timing oder der Marktlage zu tun, sondern nur damit, etwas in die Welt zu bringen, dass (unbewusste) Wünsche erfüllt. Etwas, dass eine Lücke füllt; etwas, dass gebraucht wird, obwohl noch niemand weiß, dass es fehlt …

Bedauerlich übrigens auch für Camels R.J. Reynolds, der sich auf seinem Erfolg ausruhte und verpasste, wie die Welt um ihn herum sich änderte. Schwupps, entdeckte die Konkurrenz, dass man Zigaretten als perfektes Diätmittel anpreisen könnte – gern konsumiert von Hollywoodstars. Und schon hatte Reynolds seine Marktführerschaft wieder eingebüßt. Das genügte ihm jedoch zur Inspiration, und schon flogen die Werbefäuste: Das Blatt wendete sich erneut, als Reynolds damit warb, dass die meisten Ärzte seine Zigarettenmarke rauchen würden. Klingt verrückt, funktionierte aber super (man hatte ja damals noch keine Ahnung von den wirklichen Konsequenzen des Nikotins). Genauso, wie die Behauptung den Absatz antrieb, dass Sportler am liebsten Camels rauchen würden. Vergessen Sie das alte „Survival of the fittest“! Es geht nicht darum fit oder jung oder besonders intelligent zu sein. Sondern darum, Möglichkeiten zu erkennen und sein Handeln immer wieder den veränderten Gegebenheiten anzupassen!

Kennen Sie die Geschichte vom Frosch und dem kochenden Wasser? Ich schwöre, ich habe sie nicht selbst ausprobiert, sondern nur gelesen! Was glauben Sie, macht ein Frosch, den man in einen Topf mit heißem Wasser setzt? Genau, er springt sofort heraus, aus seiner misslichen Lage. Wenn man den Frosch aber in einen Topf mit lauwarmem Wasser gibt und die Temperatur langsam erhöht, dann bleibt der kleine Kermit sitzen, bis er selbst kocht.

Im Grunde sind wir Frosch: Plötzliche Veränderungen lassen uns größere (Gedanken-)Sprünge vollführen, als ein langsames Siechtum – die allmähliche Verschlechterung unseres Zustandes. Manche kennen dieses Phänomen auch aus Beziehungen: Man arrangiert sich, macht faule Kompromisse und verschenkt ein paar gute Jahre – es sei denn, man hat eine dieser In-flagranti–Begegnungen. Dann geht der Abschied von einem unpassenden Partner in den meisten Fällen etwas zügiger vonstatten. Also: Besser wir bleiben wachsam und bemerken die Veränderungen in unserem Umfeld, bevor es zu spät ist.

Und: Glauben Sie nicht alles, was Sie denken! Womöglich sind Ihre Gedanken nämlich entliehen. Ein weiteres Experiment mit Tieren legt das nah. Es war einmal … eine kleine Gruppe mit Affen und eine kleine Gruppe von Forschern. Die einen setzen die anderen in einen großen Behälter mit Glaswänden, der nach oben offen war (wer wo saß, dürfen Sie raten 😉 Zudem wurde eine Leiter in den Behälter gestellt. Über dem oberen Ende der Leiter hing eine Staude mit verlockenden gelben Bananen, gut sichtbar für die Affen im Glashaus. Sobald aber einer von ihnen die Leiter erklomm und nach den Früchten griff, gab es eine relativ unangenehme Wasserdusche für die ganze Truppe. Die Tiere versuchten es zwei oder dreimal. Dann gaben sie auf. Nun wurden die Affen nacheinander ausgetauscht. Jedes Mal, wenn ein „alter“ Affe ersetzt wurde, wollte der neue Mitbewohner von Glashausen sofort die Leiter rauf und eine Runde Bananen für alle schmeißen. Dieser allerdings wurde von seinen Artgenossen überwältigt und von seinem Vorhaben abgehalten – aus Angst vor der nächsten Dusche. Irgendwann gab es keine Affen mehr in dem Gehege, die jemals selbst eine Dusche erlebt oder sie gesehen hatten. Und die Forscher hatten die Wasseranlage auch gar nicht mehr in Betrieb. Doch obwohl die Affen ungehindert an die Bananenstaude gekommen wären, unternahm nicht einer von ihnen auch nur den Versuch, in ihre Nähe zu kommen.

Übertragen wir das mal auf unsere Denke. Was denken wir über unsere Branche? Über unsere Geschäftsmodelle? Über unsere Kunden? Unsere Produkte und Dienstleistungen? Ist das überhaupt (noch) unsere eigene Annahme? Oder haben wir davon nur gehört und nehmen jetzt an, das sei richtig so – bis in aller Ewigkeit? Bevor Sie also zulassen, dass Ihr Blickwinkel zu Ihrem Schicksal wird, überlegen Sie bitte, ob es sich wirklich um Ihre eigenen Überzeugungen handelt. Vielleicht ist es Zeit, den Mut aufzubringen, umzudenken und einfach mal etwas anderes auszuprobieren. Und dazu braucht es manchmal auch (siehe oben) einen lauten Knall! Bleiben Sie innovativ!

Insel-Begabung Teil 3 – Orkney Islands.

21.02.2017 // 11.20 Gerriet Danz

Herzlich Willkommen zur dritten und letzten Folge unserer Reihe „Wie Inseln innovativ sein können“. Was ich mit den verschiedenen Ideen und Fällen aufzeigen möchte, ist der Variantenreichtum der Innovationen. Jede der Inseln hat für sich neue Wege gefunden, Energie zu erzeugen, aber eben jedes Mal einen anderen – abhängig von den unterschiedlichen Gegebenheiten vor Ort und den jeweiligen Visionen derer, die einen Anfang machten. Und ich möchte Sie inspirieren, sich einmal in Ihrer Umgebung umzusehen und zu überprüfen, was Sie da vor sich haben (ob gegenständlich oder als ihre eigene Fähigkeit, als Herausforderung oder wiederkehrendes Ärgernis). Dann überlegen Sie sich bitte, was Sie daraus weiterentwickeln können, was Ihnen fehlt, wohin Sie möchten (nicht räumlich, sondern entwicklungstechnisch). Vielleicht klingt es banal, aber so einfach können Innovationen ihren Anfang nehmen. Und für alle, die sich über ein praktisches Beispiel aus dem echten Leben freuen: Eine Freundin hatte ein handfestes und wiederkehrendes Problem mit Läusen – auf dem Kopf ihres Sohnes. Shampoos, Öle, Nissenkämme und sämtliche anderen Maßnahmen wurden ergriffen, aber immer wieder überlebten offenbar Mitglieder der Läusebande. Wie sich herausstellte, war das Kinderhaar so dünn, dass der Nissenkamm nicht alle Eier erfasste und die Methode „Fingernägel-Klemmsystem“ konnte Stunden dauern und lief nicht ohne Gebrüll des Haarträgers ab. Nicht nur aus Internetforen wusste die Freundin, dass sie nicht alleine mit dieser Herausforderung ist. Offenbar haben auch Forscherkinder unliebsame Kopfbewohner. Und deswegen wurde im Anwendungszentrum für Plasma und Photonik des Fraunhofer-Instituts für Schicht- und Oberflächentechnik (IST) in Göttingen unlängst ein Plasma-Kamm entwickelt, der die Biester per Hochspannung ins Läuse-Nirvana befördert. Der Prototyp sieht aus, wie aus der Requisite von Raumschiff Enterprise, aber das ist ja immer so und übrigens egal. Hauptsache, es gibt Hoffnung im Läusekampf.
Und im Übrigen nahm das Klapphandy ja auch seinen Anfang in den 1960ern – und in den Händen von Captain Kirk.

Bevor Sie sich zum Nachdenken zurückziehen und sich überlegen, was Sie persönlich erfinden könnten, um die Welt – oder auch nur Ihr eigenes Leben – zu verbessern, starten wir noch einmal mit unserer Reise. Unsere letzte Etappe sind die Orkney Islands, einer Inselgruppe vor der schottischen Nordküste. Diese Inseln erzeugen ihren Strom schon lange zu einhundert Prozent selbst und zwar mit Windrädern. In dieser Gegend gibt es viele Orkane. Das sonst bei Windkraft drohende Schreckgespenst der Flaute, spielt hier also kaum eine Rolle. Dennoch haben die Orkadier ihren Fokus zur Energiegewinnung seit einigen Jahren auf ein anderes Element gerichtet: Das Wasser. Nirgendwo auf der Welt sind Wellen- und Gezeitenkraft so stark, wie vor der Küste des schottischen Archipels! Das Potential an blauem Ökostrom läge, so errechneten Experten, bei über 5.000 Megawatt. Das bedeutet, dass man mit ihm über eine Million Briten, von Orkney Islands aus, versorgen und damit ein Drittel aller britischen Atomkraftwerke in den Ruhestand schicken könnte! Das wäre mal ein Brexit der ganz anderen Art! In den ungeheuren Kapazitäten der Inseln läge demnach der Schlüssel zur gesamten Energiewende mehrerer Länder.

Es gibt also eine Vision: Bis 2020 soll der gesamte schottische Energiebedarf aus regenerativen Quellen stammen. Aber es existieren auch Schwierigkeiten. Die Naturkräfte sind dermaßen gewaltig, dass bisher noch kein Material dauerhaft den Belastungstest überstanden hat. Die Wartungskosten sind extrem hoch und die bisher erbrachte Leistung vergleichsweise gering. Seit Beginn sind über 40 Millionen Euro an Forschungsgeldern verbraucht worden. Optimistisch betrachtet und ausgedrückt, kann man dafür sicher sein, dass jede Anlage, die an dieser Küste überlebt, auch an jedem anderen Ort der Welt installiert werden könnte. Es brauchte und braucht also einen langen Atem – sowohl per Motivation, als auch finanziell, um das Projekt weiter voranzutreiben.

Seit 13 Jahren beschäftigt man sich auf den Orkney Islands im EMEC, dem Europäischen Zentrum für Meeresenergie, mit der Entwicklung von Gezeiten- und Wellenkraftwerken. Erstere nutzt die Strömungen von Ebbe und Flut, letztere den stetigen Wellengang, um Turbinen anzutreiben. Bis heute wurden zwei große Testfelder im Meer realisiert, ein drittes ist in Planung. Allen scheint der beinahe unerschütterliche Wille gemein, die Sache erfolgreich zu meistern. Einige Pioniere sind bereits gescheitert; Investoren haben Gelder abgezogen; Unternehmen mussten Insolvenz anmelden. Kritiker sehen solche Vorkommnisse als Beweis dafür, wie müßig und unrentabel die Bemühungen der „blauen Spinner“ im Meer sind. Befürworter der Gezeiten- und Wellenkraftanlagen hingegen, nehmen Rückschläge als das in Kauf, was Innovationen nun einmal mit sich bringen und erinnern sich (und die Bedenkenträger) an die Erschließung der Windenergie: In den 1950er Jahren wurde die nämlich genau hier ausprobiert. Eine experimentelle Turbine sollte damals ans Stromnetz angeschlossen werden. Es gab zwar genug Wind, aber die Technik war seinerzeit den enormen Sturmverhältnissen einfach noch nicht gewachsen. Und heute, fast 70 Jahre später, gilt Windenergie als vollkommen ausgereifte Technik!

Neue Technologien brauchen immer Zeit, bis zu dem, was Ökonomen als „Marktreife“ bezeichnen. Oder: Ohne Weg, kommt man nicht zum Ziel. Und da fällt mir auch noch wieder ein berüchtigter Danz ein: „Nach dem Scheitern ist man in jedem Falle eines – gescheiter!“ Und weiter geht es!

Bemerkenswert ist übrigens auch das Miteinander der blauen Energie-Pioniere: Obwohl sie für unterschiedliche Unternehmen arbeiten, scheint ihre Mission sie zu einen. Man trifft sich auch nach Feierabend und tauscht sich produktiv und fachlich aus. Es gibt keinen Konkurrenzgedanken. Auch deshalb gelingt es hervorragend, einander zu inspirieren und die Innovationen voranzutreiben.

Was Stanford für das Silicon Valley, ist Heriot-Watt für Orkney: Die Privatuniversität unterhält einen kleinen Campus auf einer der Inseln und bietet hier so verheißungsvolle und zukunftsorientierte Studiengänge an, wie „Erneuerbare Energien zur See“ und „Seerohstoffmanagement“. Sehr vorausschauend, wie ich meine: Man holt sich neue Köpfe mit hoffentlich bahnbrechenden Ideen und inspirativem Input genau dorthin, wo sie so nötig gebracht werden! Die Studiengänge sind ebenso eine Investition in die Zukunft, wie es die Forschungsgelder sind, die in die Entwicklung der blauen Energiekraftwerke fließen. Und wenn man das Interesse an den Marktanteilen der Gezeiten- und Wasserkraftwerke sieht, kann man davon ausgehen, dass sämtliche Beteiligte bei einem Durchbruch der Technologie längerfristig sehr viel Geld verdienen werden.

Der Autor und Regisseur Christiane Heynen, der 2015 eine mehrteilige sehenswerte Dokumentation für den Fernsehsender arte über die „Insel der Zukunft“ drehte, behauptet, dass Orkney Island vielleicht einmal die Wiege einer Energierevolution sein wird. Und dann würde, so Heynen, das schottische Archipel für die Energiegewinnung durch Wasserkraft einmal das sein, was das Silicon Valley heute schon für die Computerindustrie ist: Der Ort, an dem die Zukunft ihren Lauf nahm.

Insel mit Visionen: Samsø.

21.02.2017 // 10.59 Gerriet Danz

Teil 2 der Inseltrilogie. Willkommen zurück zu unserer Tour an Orte, die sich selbst neu erfunden haben: Es sind Inseln, die auf der Suche nach Energiegewinnung und Unabhängigkeit ungewöhnliche Wege fanden – und jede für sich ein Beispiel für großartige Innovationskraft abgeben.

Bekanntlich haben auch andere Mütter hübsche Töchter – und andere Inseln eben auch gute Ideen: Nach der kanarischen Insel El Hierro, führt uns die nächste Gedankenreise nach Dänemark; genauer gesagt nach Samsø. Auf der Insel, mit ihrem Charme die Besucher sofort ins Reich von Pippi Langstrumpf und Bullerbü entführt (ja, ich weiß, dass es sich um schwedische Gestalten handelt, aber das tut jetzt nichts zur Sache) gibt es eine Energie-Akademie, die heute Magnet für internationale Forschungsgäste ist.
Nicht nur elf Windräder stehen hier an Land, es gibt auch einen Off-Shore-Windpark, Solar- und Strohverbrennungsanlagen zum Erzeugen von Fernwärme und Kuhmilch-Wärmetauscher. Und all das genießt nicht zuletzt auch deswegen höchste Akzeptanz, weil es den Samsingern selbst gehört!

Wie so viele Neuausrichtungen, entwickelte sich auch das Energiewunder von Samsø aus einer Krise. Mitte der 1990’er Jahre war das. Damals hatten viele Samsinger ihre Arbeit verloren, weil ein großes Unternehmen auf der Insel schloss. Das Glück im Unglück: Aus der Verzweiflung erwuchs auch die Chance für eine umfassende Neuausrichtung – in vielerlei Hinsicht.

Die Initialzündung für das Projekt Sauberes Samsø kam damals von der dänischen Regierung. Die schrieb einen Wettbewerb aus, welche Insel es in einem Modell-Projekt schaffen würde, ihren hohen Kohlenstoffdioxidausstoß innerhalb von zehn Jahren zu stoppen und ihre Energie stattdessen aus regenerativen Quellen zu beziehen. Einziger Haken an der Sache: Es gab für die Realisation keine staatlichen Fördergelder oder Aufwendungen. Um das Happy End vorwegzunehmen (und nicht nur für diejenigen unter Ihnen, die immer die letzten Seiten des Krimis zuerst lesen): Samsø setzte sich gegen vier Mitwettbewerber-Insel durch. Doch erst einmal war es kein einfacher Einstand für jemanden, der die Samsinger für das Projekt begeistern sollte. Und als der Energieberater Søren Hermansen nach Samsø kam, hielten ihn die meisten der Inselbewohner auch erst einmal für nichts weiter als einen der grünen Spinner vom Festland.

Pro Kopf und Jahr brachten die Samsinger es damals auf stolze elf Tonnen Kohlenstoffdioxid-Ausstoß. Und es gab für sie auch zunächst keinen erkennbaren Grund, ihre Insel irgendwann energieautark zu machen – wenn man von hehren ökologischen Visionen absieht. Erst recht dann, wenn man Sorge hat, den Kühlschrank im nächsten Monat nicht füllen zu können. Hermansen investierte also viel Zeit, Geduld und Nerven, bis er die Insulaner davon überzeugt hatte, dass sie selbst der wichtigste Faktor der Neuerungen sein würden. Denn vorerst begegneten ihm die Samsinger weiter mit skandinavischer Zurückhaltung. Schließlich aber brach das Eis, mit dem Argument, dass nicht nur die Umwelt etwas von einem Umdenken hätte, sondern jeder einzelne Inselbewohner an der grünen Energie mitverdienen könnte. Sich selbst versorgen und damit auch noch Geld verdienen? Das klang natürlich auch in den Ohren der größten Zweifler gut! Jeder, der Anteile von den Windturbinen kaufen wollte, konnte es einfach tun. Es wurden Beteiligungsgesellschaften und Genossenschaften gegründet, die gemeinsam Windräder erwarben. So entstanden auch jede Menge neuer Arbeitsplätze. Und wer daran denkt, dass 24 Stunden Wind für vier Windräder eine Summer von etwa 10.000 Euro ins Portemonnaie spült, findet den Anblick einer Windkraftanlage schon viel besser zu ertragen.

Auch Stroh ist inzwischen ein wichtiger Rohstoff für die Samsinger Energieversorgung geworden. Es wächst immer wieder nach und es setzt wenig CO2 frei, wenn es im Samsinger Hackschnitzelwerk verbrannt wird. Früher war Stroh nichts weiter als ein Abfallprodukt der Landwirtschaft, heute bekommen die Bauern etwa 30 Euro pro Ballen und nach dem Verbrennen nutzen sie die Asche als Dünger auf ihren Feldern. Besser geht’s wohl kaum. Und etwa 80 Prozent aller Haushalte heizt heute mit dem heißen Wasser, das die Anlage liefert. Die Rechnung ist so einfach, wie sie klingt: Früher bezahlten die Inselbewohner 2,5 Millionen Euro im Jahr für Öl, heute eine halbe Million für Stroh; mit dem gleichen Effekt und Outcome, aber dem großen Unterschied, dass das Geld auf der Insel bleibt.

Genau wie El Hierro, möchte auch Samsø den Fahrzeugverkehr auf der Insel in Zukunft auf umweltfreundlich umstellen. Und man plant, Bio-Gasanlagen zu bauen, die sowohl mit landwirtschaftlichen Produkten betrieben werden sollen, als auch mit gewöhnlichem Hausmüll. Nach Samsinger Art können sich die Anwohner wieder beteiligen – an den Kosten der Anlagen und später natürlich an deren Profit.
Schon jetzt gibt es eine Initiative, die den Insulanern auch die Vorteile von Elektro-Autos näherbringt. Mit stetig wachsendem Erfolg: Innerhalb eines Jahres hat sich die Anzahl der Privatwagen, die mit Strom laufen mehr als verdoppelt – von 17 auf 37.

Laut dem Vater des großen Samsinger Energieprojektes, Søren Hermansen, verändert es das Bewusstsein der Menschen, wenn sie Energie nicht nur einfach verbrauchen, sondern auch selbst erzeugen. Er denkt, dass die grünen Innovationen die Bewohner des Eilandes dazu gebracht haben, ihrerseits kreativ zu werden. Das führt dazu, dass sie ihre eigenen außergewöhnlichen Ideen verwirklichen. Als Beispiel für diese These könnte auch der Milchbauer Carsten Christianson dienen, der seine warmen Füße den Wiederkäuern in seinem Stall verdankt. Er ist auf die Idee gekommen, die Wärme, die frei wird, wenn die frische, 39 Grad warme Milch auf sechs Grad Celsius runtergekühlt wird, über ein einfaches Wärmetauschsystem in seinen Küchenboden zu transportieren (die Wärme in Form von Wasser natürlich, nicht die Milch).

Den „grünen Spinner Søren“ hat das amerikanische Time-Magazine übrigens zum „Helden der Umwelt“ gekürt. Den Insulaner geht es mittlerweile weniger darum, von der Energieerzeugung leben zu können (was glänzend funktioniert). Vielmehr wollen alle gemeinsam etwas Großes für die Umwelt schaffen. Es heißt, die neuesten erneuerbaren Energiegewinnungssysteme seien auf Samsø inzwischen beinahe so etwas, wie ein Statussymbol: Man hat hier lieber die innovativste Form einer Solarparzelle auf dem Dach, als eine Nobelkarosse in der Garage. Inzwischen wird viel mehr grüne Energie von der Insel aufs Festland verkauft als fossile Brennstoffe importiert werden müssen. Und Samsøs Energieakademie (auch ein Teil des großen Projektes) dient als internationales Vorzeigemodell und ist Anlaufpunkt zahlreicher Forscher Besucher, die ihre Heimat ebenfalls auf nachhaltige Art mit Energie versorgt wüssten. Denn warum sollte das Modell der dänischen Insel nicht auch weltweit Schule machen können?

Innovation mitten im Wasser – El Hierro.

21.02.2017 // 10.36 Gerriet Danz

Teil 1 der Inseltrilogie. Nirgendwo auf der Welt wird der Mensch mehr dazu gezwungen, innovativ und kreativ zu sein, als an Orten, deren dauerhafte Besiedlung schon eine besondere Herausforderung darstellt. Inseln sind solche Orte. Und heutzutage ist es vor allem die Versorgung mit Energie, die Innovation förmlich erzwingt – besonders, weil Nachhaltigkeit gefragt ist. Schließlich denkt man in unseren Tagen weiter als von der Wand bis zur Tapete – und möchte auch seinen Nachfahren eine Welt hinterlassen, in der nicht alles zerstört und erschöpft wurde.

Folgen Sie mir in den nächsten drei Ausgaben der Out of the Box-Box auf eine Gedankenreise zu drei Inseln, die jede auf ihre Art als Beispiel dafür dienen können, wie aus Visionen Innovationen werden können. Und zwar solche, die uns irgendwie allen zugute kommen.

Unser erstes Ziel ist El Hierro. Sie ist die kleinste der sieben kanarischen Inseln. Heute ist nichts mehr davon zu spüren, dass der 268 Quadratkilometer große, beinahe boomerangförmige Landfleck im atlantischen Ozean Königin Isabella II. von Spanien und ihren Amtsnachfolgern in erster Linie als steiniges Exil für unbequeme Landsmänner diente. Ganz im Gegenteil: El Hierro hat sich zum Paradebeispiel dafür gemausert, was sozial, ökologisch und ökonomisch machbar ist, wenn man beginnt, eine Vision zu leben.

Lange galt das Eiland als rückständigste Insel des Archipels und wurde von den Nachbarn belächelt. Hier gab es keinen Massentourismus und keine Bettenburgen. Was vor noch nicht allzu langer Zeit als „etwas unterentwickelt“ gegolten haben mag, lässt sich jetzt als Gnade des späten Erwachens bezeichnen. Heute wird El Hierro gerade wegen seiner Naturbelassenheit und dem Erholungsfaktor abseits überlaufener Reiserouten in vielen Reiseführern hervorgehoben.

Fernando Gutierrez Herwandes, Leiter der Fischerei-Genossenschaft, verwirklichte auf El Hierro gemeinsam mit 60 Fischerfamilien seinen Traum eines Meeresschutzgebietes. Nach mehreren Jahrzehnten Kampf, Diskussionen, Auseinandersetzungen und jeder Menge Arbeit, ist der Atlantik vor dem malerischen Örtchen La Restinga seit Ende der 1990er Jahre für Segler und Fischer gesperrt. In der Reserva Marina präsentiert sich die Unterwasserwelt heute wieder in schillerndsten Farben, mit zahlreichen Arten von Meeresgetier im kristallklaren Wasser. Und die beiden ausgewiesenen Tauchreviere gelten als die schönsten und besten Europas. Der größte Fisch der Welt, der Walhai, ist hier zu Hause und auch Mantarochen mit einer Spannbreite von sieben Metern, sind keine Seltenheit. Und nicht nur das, auch die Fänge außerhalb der geschützten Zone haben sich verbessert, seitdem Qualität hier größer geschrieben wird, als Quantität.
Im Jahr 2000 ernannte die UNESCO El Hierro zum Biosphärenreservat.

Das aber nur nebenbei – und nun zur eigentlichen Innovationsgeschichte El Hierros. Sie beginnt mit dem Lebenstraum von Javier Morales; einem Agraringenieur und ehemaligem Berater der Inselregierung, der selbst in einem Fischerdorf auf der Insel aufwuchs. Es ist 1995. Zu dieser Zeit läuft die zentrale Energieversorgung von El Hierro über Dieselmotoren. Der Kraftstoff wird von Öltankern zum inseleigenen Kraftwerk gebracht. Schließlich existieren keine Leitungen zum Festland.
Der junge Javier Morales beginnt, sich Gedanken darüber zu machen, wie es zu bewerkstelligen wäre, dass die kleine Insel sich komplett selbst mit erneuerbarer Energie versorgen könnte. Es gibt schon ein Windrad, das die Straßenbeleuchtung speisen soll, aber aus den verschiedensten Gründen funktioniert es die wenigste Zeit.
Das Problem mit den Windkraftwerken besteht darin, dass sich die produzierte Energie nicht speichern lässt. Sie muss verbraucht werden, in dem Moment, in dem sie produziert wird – und sie schwankt. Wenn der Passatwind es krachen lässt, laufen sich die Räder heiß, und bei Flaute kommt die Versorgung zum Erliegen. Das ist das ein Problem.
Und noch ein Gedanke spukt dem Ingenieur im Kopf herum: El Hierro leidet, wie fast alle Inseln unter chronischem Trinkwassermangel.
Wieder und wieder spielt Morales diese beiden Aspekte gedanklich durch – und hat schließlich eine bahnbrechende Idee: El Hierro braucht ein Wind-Pump-Wasser-Speicher-Werk!
Ein Windpark soll gebaut werden, der bei Überproduktion Meerwasser durch eine Entsalzungsanlage in ein höhergelegenes Becken pumpt. Bei Windstille würde das gesammelte Wasser in ein Kraftwerk laufen und dadurch seinerseits wieder Energie erzeugen. So könnte die Insel sich für immer unabhängig von externen Energielieferanten machen und sogar Trinkwasser als Nebenprodukt der Stromerzeugung herstellen.
Es folgten einige Jahre, in denen das Modell von Experten kalkuliert und geprüft wird. Die Idee gilt schnell als einzigartig – aber teuer. 65 Millionen Euro werden für die Realisierung veranschlagt.

Fast zehn Jahre sind seit dem Aufkommen seiner Idee vergangen, als Morales Schützenhilfe bekommt: Der Inselpräsident Thomás Padrón, selbst aus der Energiegewinnungsbranche, begeistert sich für das Projekt. Morales kämpft nicht länger allein.
Die beiden begeben sich auf die Suche nach einem geeigneten Standort: Windig muss es dort sein, die Nähe zur Hauptstadt Valverde wäre wünschenswert und über allem sollte sich ein inaktiver Vulkankrater erheben. Warum das nun wieder? Na, wenn man schon über eine hübsche Anzahl riesiger Krater verfügt, könnte man einen von ihnen doch als Auffangbecken für das Wasser nutzen, das bei Windflaute die Stromproduktion übernehmen muss! Und damit das Wasser auch fließen kann, braucht es noch ein starkes Gefälle. Es gibt für diese Anlage kein Vorbild, an dem sich irgendjemand zu diesem Zeitpunkt orientieren könnte; es gibt nur die Vision und die Vorstellung in den Köpfen zweier Männer.

Schließlich werden Morales und Padrón fündig: 2007 – mehr als zehn Jahre sind inzwischen vergangen – beginnt der Bau des Wind-Wasser-Kraftwerks. Den Anfang machen fünf Windräder, die jeweils 2,3 Mega Watt Strom produzieren können. Der maximale Verbrauch der Insel liegt bei 8 Mega Watt, es sollte also klappen. Den Vulkankrater legt man mit Teichfolie aus, damit das Wasser nicht im porösen Stein versickert. Der neue Salzwasserspeicher fasst eine Menge, die 200 Schwimmbädern gleichkommt.
Es dauert noch einige Finanzierungsengpässe lang, aber einen Inselregierungswechsel später, am 27. Juni 2014 wird Gorona del Viento, wie das Werk nach dem Betreiberunternehmen genannt wird, endlich eröffnet. Bis Ende 2015 ist El Hierro zu 75 Prozent stromautark. Das Dieselkraftwerk wird lediglich noch zur Sicherheit gebraucht.

Es heißt, die Bewohner von El Hierro zahlen noch immer denselben Strompreis, wie zu Zeiten des Dieselkraftwerks. Da die Energie nun aber viel günstiger gewonnen wird, fließen die Mehreinnahmen in den Unterhalt von Schulen und anderen gemeinnützigen Institutionen.
Auf El Hierro gibt es übrigens jetzt auch Straßenlaternen, die mit Solarenergie zum Strahlen gebracht werden und Müllbehälter, die per W-Lan Bescheid sagen, dass sie voll sind und bitte geleert werden müssten. Last but not least, ist man darauf gekommen, dass alte Frittenfett der Restaurants in einer Anlage zu Bio-Diesel zu verarbeiten, mit dem nun die Hälfte der Nutzfahrzeuge der Gemeinde durch die Gegend fährt.

Und apropos „Fahren“: Die Innovateure von El Hierro verfolgen das Ziel, die Insel zum ersten emissionsfreien Ort der Welt zu machen. Dazu müsste es gelingen, alle 6.000 Autos auf Elektroenergie umzustellen oder sie zu ersetzen.
Theoretisch könnte der produzierte Strom auch für die Autos auf der Insel bereitgestellt werden. Der Fahrzeughersteller Renault wurde bereits von dem Gedanken begeistert und stellte auch Testfahrzeuge zur Verfügung. Aber leider stolperte das Projekt bereits in den Kinderschuhen. Von den vier Stromzapfsäulen auf der Insel funktioniert häufig nur eine und die Leihgebühr für die Batterien ist sehr hoch, so dass bisher nur neun Elektroautos auf El Hierros Straßen unterwegs sind. Aber ich bin mir sicher: Kommt Zeit, kommt Strom, kommen mehr E-Cars.
Und – by the way: Stolpern, sogar Hinfallen, und wieder Aufstehen gehört zu jedem Innovationsprozess. Wenn dem nicht so wäre, würde heute wohl niemand von uns laufen können. „Damals“ wäre niemand nach einem Plumps auf den Windelpo (oder auch das erste Langhinschlagen) auf die Idee gekommen, zu sagen: „Ach, das mit dem Laufen lasse ich lieber. Das ist nichts für mich.“ Und auch Bedenkenträger, dieses durch und durch risikobehafteten Unterfangens, polsterten lieber die Ecken scharfer Tischkanten, als uns davon zu überzeugen, das Projekt „Laufenlernen“ lieber anderen zu überlassen. Denken Sie immer daran, wenn Sie Gegenwind für Ihre Innovationen und Ideen spüren!
Warum ich das schreibe? Weil die Energiewende von El Hierro vielerorts diskutiert wird und das natürlich auch von den allgegenwärtigen Bedenkenträgern. Von „Milliardengrab“ ist da ebenso sie Rede wie davon, dass El Hierro es bis heute „nur“ zwei Tage geschafft haben soll, seinen gesamten Energiebedarf selbst zu decken. So what? „Immerhin“, könnte man entgegnen – und die Innovation geht weiter!

Noch einmal zurück zu El Hierro: Das neueste Projekt auf der Insel ist die Umstellung der Landwirtschaft – von konventionellem Ackerbau auf bio-zertifizierten. Der Boden der Insel, auf der es mehr als 1.000 ruhende und erloschene Vulkane gibt, ist sehr fruchtbar. Die lokale Regierung unterstützt die Bauern bei der Neuausrichung ihrer Betriebe, indem sie ihnen günstig Land verpachtet. Außerdem sorgt eine inseleigene Experimentier-Farm für Erkenntnisse über chemikalienfreie Schädlingsbekämpfungsmethoden und Düngemittelfreier Produktion von Tropenfrüchten. Von hier stammen Exportschlager, wie die Bananenstaude. „Ist ja simpel“, mag manch einer denken. Ja, und doch ist vorher noch keiner drauf gekommen. Die Banane des Kolumbus, quasi.

Bis Ende des 19. Jahrhunderts galt El Hierro als äußerster Rand der Erdscheibe. Im Hinblick auf die Visionsdichte und das Energiekonzept dieses Fleckchen Erde, lässt sich heute aber mit Recht behaupten, dass am ehemaligen Ende der Welt eine ökologischen Zukunft ihren Anfang nimmt.

Stechuhr vs. Stechmücke – was beflügelt Ideen?

21.02.2017 // 10.08 Gerriet Danz

Vor einiger Zeit überraschte der Unternehmer Richard Branson mit einer gar nicht so ganz neuen Art der Urlaubsplanung: In der Virgin-Unternehmensgruppe, zu der unter anderem auch die Virgin Airlines zählt, konnten Angestellte ab sofort frei nehmen, wann immer sie es wollten.
Voraussetzung: Es ist sichergestellt, dass sie und das gesamte Team mit dem jeweiligen Projekt im Zeitplan lägen und das Unternehmen durch die Abwesenheit des Mitarbeiters keinen Schaden nehmen würde.
Branson mochte eine Art Vision haben, aber nicht wenige Leute, mit denen ich „damals“ über diese Sache sprach, hielten Branson für einen Mann, der seine Visionen demnächst in leergefegten Büro haben würde – denn alle anderen wären ja bestimmt im Urlaub.

Jedoch hatten Statistiken längst belegt, dass jeder amerikanische Arbeitnehmer im Jahr 2013 durchschnittlich drei bezahlte (!) Urlaubstage verfallen ließ. Das bedeutet, laut Philosophie-Professor Christopher Morgan-Knapp (Binghamton University im US-Bundesstaat New York), in Zahlen: etwa 427.000.000 ungenutzte Tage Freizeit. Gerechnet in Jahren wären das insgesamt über 1 Million. Genügend Zeit für ein paar Runden Evolution, inklusive Eiszeit und Wiederauftau.

Das Phänomen tritt übrigens auch hierzulande auf: Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ergab, dass auch wir im Durchschnitt jährlich drei Tage verschenken und besonders Jobeinsteiger oft auf Freizeit verzichten. Viele sehen es als Investition in ihre Karriere. Na ja, es mag wohl sein, dass auch solche Dinge wie die häufig beschriene Work-Life-Balance erst einmal gelernt werden müssen – und das am besten, ohne sich aus dem Hamsterrad im hohen Bogen in den nächsten Burnout katapultieren zu lassen.

Und wer von Zahlen noch nicht genug hat, bekommt von mir noch eine Erkenntnis des Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI): Die Menschen dort haben nämlich ausgerechnet, dass durch den Verzicht auf bezahlte Urlaubstage jedes Jahr in Deutschland nicht weniger als 75 Millionen Urlaubstage verschenkt werden. In Geld entspricht diese Zahl etwa einer Summe von neun Milliarden Euro. Ein hübsches Sümmchen.

Mit diesen Zahlengebirgen im Hinterkopf erscheint das Vorgehen Bransons nach Meinung von Morgan-Knapp auf einmal gar nicht mal so merkwürdig, wie auf den ersten Blick angenommen. Es sieht so aus, als gehöre effektive Arbeitszeit zu den Prioritäten eines beschäftigten Menschen. Wie sonst lässt es sich erklären, dass sich offenbar sehr viele Menschen zu unbezahlter Mehrarbeit hinreißen lassen, anstatt diese Zeit mit ihrer Familie, Freunden oder einem Hobby zu verbringen? Wie auch immer: Arbeit statt Entspannung und Zerstreuung? Das klingt nicht nur in den Ohren des Professors nach einer schlechten Balance.

Und nicht nur Statistiken beweisen, dass die Leute ihre Arbeit oft mehr zu schätzen scheinen als ihr Privatleben, sondern auch der Blick aufs eigene Wirken; wenn man mal ganz ehrlich ist.
Christopher Morgan-Knapp meint, den Grund dafür zu kennen: Ursache seien die Ziele, die man verfolgt; diese Ziele wären nämlich andere, wenn man arbeitet, als wenn man sich in seiner Freizeit etwas vornimmt. „Freizeit-Vorsätze“ wären zum Beispiel, etwas mit den Kindern zu unternehmen oder Qualitätszeit mit dem Partner zu verbringen. Im Job möchte man dagegen vorankommen, Kariere machen, Abschlüsse generieren – oder einfach auch nur seine Stelle behalten. Dadurch entsteht fast immer eine Art Wettkampf mit Kollegen.
Wenn es also kompetitive und nicht-kompetitive Ziele für einen Menschen gibt, scheint es für die meisten von uns auf den ersten Blick sinnvoller zu sein, mehr Energie in das Erreichen der Wettbewerbssache zu stecken.

Stellen Sie sich vor, Sie haben an einem Sonnabend die Wahl zwischen folgenden Aktivitäten: Entweder bauen Sie mit Ihren Kindern weiter an dem schon lange ruhenden Baumhaus-Projekt. Oder Sie nutzen die Zeit, noch ein wenig herumzupfeilen – und zwar an Ihrer Promotion/Ihrem neuen Buch/einer Präsentation, die Sie in der nächsten Woche vor wichtigen Entscheidungsträgern halten dürfen … Na?
Ein Blick in die Denkwindungen Ihrer grauen Masse gibt Aufschluss: Ein Wesen, das ich das Leistungs-Gewissen nennen möchte, lässt Sie etwas denken, wie: „Was passiert mit dem Baumhaus, wenn wir uns an die Arbeit setzen?“ Antwort aus dem Inneren: „Nichts.“ „Und was passiert, wenn die Arbeit liegenbleibt?“ Alarmsirenen schrillen aus dem Unterbewusstsein: „Dann ist vielleicht jemand anderes schneller und wir haben das Nachsehen!“ Während man bei liegenbleibenden Hobbys scheinbar immer wieder dort weitermacht, wo man aufgehört hat, entwickelt ruhende Arbeit eine eigene Dynamik; man hat das Gefühl, irgendwie einen Rückstand ausgleichen zu müssen. Schließlich hat irgendjemand, irgendwo auf der Welt bestimmt schon weitergemacht. Kennen Sie den Ausdruck: Die Arbeit häuft sich? Im Zusammenhang mit Freizeitvergnügen habe ich den Begriff noch nie gehört. Folglich kostet es einen im Endeffekt mehr, das Baumhaus ruhen zu lassen, als die „echte“ Arbeit. Morgan-Knapp sieht hierin den Grund für die riesige Anzahl verfallender Urlaubstage. Seiner Meinung nach findet schichtweg ein zeitliches Überinvestment in wetteifernde Ziele statt.

Zurück zum Anfang der Geschichte und der Idee, weder feste Arbeitszeiten, noch eine bestimmte Anzahl von Urlaubstagen festzulegen. Ja, richtig gelesen: Nicht nur der Urlaub, auch die Arbeitszeiten sind in einigen erfolgreichen Unternehmen flexibel gestaltet. Und zwar zugunsten von kreativen Einfällen und innovativen Ideen. Schon 2004 überdachte der Video-on-Demand-Riese Netflix seine Urlaubsregelungen. Es heißt, ein Angestellter hätte einen der Gründer des Unternehmens, Reed Hastings, darauf angesprochen, dass er zwar keine festen Arbeitszeiten hätte, aber seine Urlaubstage noch immer genau gezählt würden. Dabei war es bei Netflix – wie auch in vielen anderen Firmen auf dieser Welt – nicht unüblich, dass Angestellte auch nach Feierabend und an den Wochenenden ihre Mails checkten und bearbeiteten. Oder sich auch auf anderen Wegen Arbeit nach Hause mitnahmen. Andererseits gab es, wie ebenfalls überall anders auch, wieder Gründe, die Arbeit ruhen zu lassen; sei es, weil man das Kind aus dem Hort abholen muss oder schlichtweg einfach mal eine Pause brauchte, um überhaupt wieder auf Ideen zu kommen.

Kreativität liebt die Freiheit, und umgekehrt. Netflix ist auf die innovativen Geistesblitze von Menschen angewiesen. Darum ist das Unternehmen aus dem Silicon Valley gut beraten, alles dafür zu tun, dass diese Kreativität überhaupt aufkommen kann. Man ist sich darüber im Klaren, dass es darauf ankommt, was Mitarbeiter leisten und nicht, wie viele Stunden am Tag sie arbeiten. Gegenüber der Presse ließ das Unternehmen dann auch verlauten, dass Richtlinien, Vorschriften, Regeln und Bestimmungen nichts weiter als Innovationsmörder seien und man schließlich wüsste, dass Menschen ihr Bestes geben, wenn sie unbelastet seien. Womit also die Frage geklärt wäre: Eine Stechmücke im Urlaub-Hotelzimmer hilft Innovationen deutlich stärker auf die Sprünge als eine Stechuhr am Eingang Ihres Unternehmens.