Insel mit Visionen: Samsø.

Teil 2 der Inseltrilogie. Willkommen zurück zu unserer Tour an Orte, die sich selbst neu erfunden haben: Es sind Inseln, die auf der Suche nach Energiegewinnung und Unabhängigkeit ungewöhnliche Wege fanden – und jede für sich ein Beispiel für großartige Innovationskraft abgeben.
Bekanntlich haben auch andere Mütter hübsche Töchter – und andere Inseln eben auch gute Ideen: Nach der kanarischen Insel El Hierro, führt uns die nächste Gedankenreise nach Dänemark; genauer gesagt nach Samsø. Auf der Insel, mit ihrem Charme die Besucher sofort ins Reich von Pippi Langstrumpf und Bullerbü entführt (ja, ich weiß, dass es sich um schwedische Gestalten handelt, aber das tut jetzt nichts zur Sache) gibt es eine Energie-Akademie, die heute Magnet für internationale Forschungsgäste ist.
Nicht nur elf Windräder stehen hier an Land, es gibt auch einen Off-Shore-Windpark, Solar- und Strohverbrennungsanlagen zum Erzeugen von Fernwärme und Kuhmilch-Wärmetauscher. Und all das genießt nicht zuletzt auch deswegen höchste Akzeptanz, weil es den Samsingern selbst gehört!
Wie so viele Neuausrichtungen, entwickelte sich auch das Energiewunder von Samsø aus einer Krise. Mitte der 1990’er Jahre war das. Damals hatten viele Samsinger ihre Arbeit verloren, weil ein großes Unternehmen auf der Insel schloss. Das Glück im Unglück: Aus der Verzweiflung erwuchs auch die Chance für eine umfassende Neuausrichtung – in vielerlei Hinsicht.
Die Initialzündung für das Projekt Sauberes Samsø kam damals von der dänischen Regierung. Die schrieb einen Wettbewerb aus, welche Insel es in einem Modell-Projekt schaffen würde, ihren hohen Kohlenstoffdioxidausstoß innerhalb von zehn Jahren zu stoppen und ihre Energie stattdessen aus regenerativen Quellen zu beziehen. Einziger Haken an der Sache: Es gab für die Realisation keine staatlichen Fördergelder oder Aufwendungen. Um das Happy End vorwegzunehmen (und nicht nur für diejenigen unter Ihnen, die immer die letzten Seiten des Krimis zuerst lesen): Samsø setzte sich gegen vier Mitwettbewerber-Insel durch. Doch erst einmal war es kein einfacher Einstand für jemanden, der die Samsinger für das Projekt begeistern sollte. Und als der Energieberater Søren Hermansen nach Samsø kam, hielten ihn die meisten der Inselbewohner auch erst einmal für nichts weiter als einen der grünen Spinner vom Festland.
Pro Kopf und Jahr brachten die Samsinger es damals auf stolze elf Tonnen Kohlenstoffdioxid-Ausstoß. Und es gab für sie auch zunächst keinen erkennbaren Grund, ihre Insel irgendwann energieautark zu machen – wenn man von hehren ökologischen Visionen absieht. Erst recht dann, wenn man Sorge hat, den Kühlschrank im nächsten Monat nicht füllen zu können. Hermansen investierte also viel Zeit, Geduld und Nerven, bis er die Insulaner davon überzeugt hatte, dass sie selbst der wichtigste Faktor der Neuerungen sein würden. Denn vorerst begegneten ihm die Samsinger weiter mit skandinavischer Zurückhaltung. Schließlich aber brach das Eis, mit dem Argument, dass nicht nur die Umwelt etwas von einem Umdenken hätte, sondern jeder einzelne Inselbewohner an der grünen Energie mitverdienen könnte. Sich selbst versorgen und damit auch noch Geld verdienen? Das klang natürlich auch in den Ohren der größten Zweifler gut! Jeder, der Anteile von den Windturbinen kaufen wollte, konnte es einfach tun. Es wurden Beteiligungsgesellschaften und Genossenschaften gegründet, die gemeinsam Windräder erwarben. So entstanden auch jede Menge neuer Arbeitsplätze. Und wer daran denkt, dass 24 Stunden Wind für vier Windräder eine Summer von etwa 10.000 Euro ins Portemonnaie spült, findet den Anblick einer Windkraftanlage schon viel besser zu ertragen.
Auch Stroh ist inzwischen ein wichtiger Rohstoff für die Samsinger Energieversorgung geworden. Es wächst immer wieder nach und es setzt wenig CO2 frei, wenn es im Samsinger Hackschnitzelwerk verbrannt wird. Früher war Stroh nichts weiter als ein Abfallprodukt der Landwirtschaft, heute bekommen die Bauern etwa 30 Euro pro Ballen und nach dem Verbrennen nutzen sie die Asche als Dünger auf ihren Feldern. Besser geht’s wohl kaum. Und etwa 80 Prozent aller Haushalte heizt heute mit dem heißen Wasser, das die Anlage liefert. Die Rechnung ist so einfach, wie sie klingt: Früher bezahlten die Inselbewohner 2,5 Millionen Euro im Jahr für Öl, heute eine halbe Million für Stroh; mit dem gleichen Effekt und Outcome, aber dem großen Unterschied, dass das Geld auf der Insel bleibt.
Genau wie El Hierro, möchte auch Samsø den Fahrzeugverkehr auf der Insel in Zukunft auf umweltfreundlich umstellen. Und man plant, Bio-Gasanlagen zu bauen, die sowohl mit landwirtschaftlichen Produkten betrieben werden sollen, als auch mit gewöhnlichem Hausmüll. Nach Samsinger Art können sich die Anwohner wieder beteiligen – an den Kosten der Anlagen und später natürlich an deren Profit.
Schon jetzt gibt es eine Initiative, die den Insulanern auch die Vorteile von Elektro-Autos näherbringt. Mit stetig wachsendem Erfolg: Innerhalb eines Jahres hat sich die Anzahl der Privatwagen, die mit Strom laufen mehr als verdoppelt – von 17 auf 37.
Laut dem Vater des großen Samsinger Energieprojektes, Søren Hermansen, verändert es das Bewusstsein der Menschen, wenn sie Energie nicht nur einfach verbrauchen, sondern auch selbst erzeugen. Er denkt, dass die grünen Innovationen die Bewohner des Eilandes dazu gebracht haben, ihrerseits kreativ zu werden. Das führt dazu, dass sie ihre eigenen außergewöhnlichen Ideen verwirklichen. Als Beispiel für diese These könnte auch der Milchbauer Carsten Christianson dienen, der seine warmen Füße den Wiederkäuern in seinem Stall verdankt. Er ist auf die Idee gekommen, die Wärme, die frei wird, wenn die frische, 39 Grad warme Milch auf sechs Grad Celsius runtergekühlt wird, über ein einfaches Wärmetauschsystem in seinen Küchenboden zu transportieren (die Wärme in Form von Wasser natürlich, nicht die Milch).
Den „grünen Spinner Søren“ hat das amerikanische Time-Magazine übrigens zum „Helden der Umwelt“ gekürt. Den Insulaner geht es mittlerweile weniger darum, von der Energieerzeugung leben zu können (was glänzend funktioniert). Vielmehr wollen alle gemeinsam etwas Großes für die Umwelt schaffen. Es heißt, die neuesten erneuerbaren Energiegewinnungssysteme seien auf Samsø inzwischen beinahe so etwas, wie ein Statussymbol: Man hat hier lieber die innovativste Form einer Solarparzelle auf dem Dach, als eine Nobelkarosse in der Garage. Inzwischen wird viel mehr grüne Energie von der Insel aufs Festland verkauft als fossile Brennstoffe importiert werden müssen. Und Samsøs Energieakademie (auch ein Teil des großen Projektes) dient als internationales Vorzeigemodell und ist Anlaufpunkt zahlreicher Forscher Besucher, die ihre Heimat ebenfalls auf nachhaltige Art mit Energie versorgt wüssten. Denn warum sollte das Modell der dänischen Insel nicht auch weltweit Schule machen können?