Herzlich Willkommen zur dritten und letzten Folge unserer Reihe „Wie Inseln innovativ sein können“. Was ich mit den verschiedenen Ideen und Fällen aufzeigen möchte, ist der Variantenreichtum der Innovationen. Jede der Inseln hat für sich neue Wege gefunden, Energie zu erzeugen, aber eben jedes Mal einen anderen – abhängig von den unterschiedlichen Gegebenheiten vor Ort und den jeweiligen Visionen derer, die einen Anfang machten. Und ich möchte Sie inspirieren, sich einmal in Ihrer Umgebung umzusehen und zu überprüfen, was Sie da vor sich haben (ob gegenständlich oder als ihre eigene Fähigkeit, als Herausforderung oder wiederkehrendes Ärgernis). Dann überlegen Sie sich bitte, was Sie daraus weiterentwickeln können, was Ihnen fehlt, wohin Sie möchten (nicht räumlich, sondern entwicklungstechnisch). Vielleicht klingt es banal, aber so einfach können Innovationen ihren Anfang nehmen. Und für alle, die sich über ein praktisches Beispiel aus dem echten Leben freuen: Eine Freundin hatte ein handfestes und wiederkehrendes Problem mit Läusen – auf dem Kopf ihres Sohnes. Shampoos, Öle, Nissenkämme und sämtliche anderen Maßnahmen wurden ergriffen, aber immer wieder überlebten offenbar Mitglieder der Läusebande. Wie sich herausstellte, war das Kinderhaar so dünn, dass der Nissenkamm nicht alle Eier erfasste und die Methode „Fingernägel-Klemmsystem“ konnte Stunden dauern und lief nicht ohne Gebrüll des Haarträgers ab. Nicht nur aus Internetforen wusste die Freundin, dass sie nicht alleine mit dieser Herausforderung ist. Offenbar haben auch Forscherkinder unliebsame Kopfbewohner. Und deswegen wurde im Anwendungszentrum für Plasma und Photonik des Fraunhofer-Instituts für Schicht- und Oberflächentechnik (IST) in Göttingen unlängst ein Plasma-Kamm entwickelt, der die Biester per Hochspannung ins Läuse-Nirvana befördert. Der Prototyp sieht aus, wie aus der Requisite von Raumschiff Enterprise, aber das ist ja immer so und übrigens egal. Hauptsache, es gibt Hoffnung im Läusekampf.
Und im Übrigen nahm das Klapphandy ja auch seinen Anfang in den 1960ern – und in den Händen von Captain Kirk.

Bevor Sie sich zum Nachdenken zurückziehen und sich überlegen, was Sie persönlich erfinden könnten, um die Welt – oder auch nur Ihr eigenes Leben – zu verbessern, starten wir noch einmal mit unserer Reise. Unsere letzte Etappe sind die Orkney Islands, einer Inselgruppe vor der schottischen Nordküste. Diese Inseln erzeugen ihren Strom schon lange zu einhundert Prozent selbst und zwar mit Windrädern. In dieser Gegend gibt es viele Orkane. Das sonst bei Windkraft drohende Schreckgespenst der Flaute, spielt hier also kaum eine Rolle. Dennoch haben die Orkadier ihren Fokus zur Energiegewinnung seit einigen Jahren auf ein anderes Element gerichtet: Das Wasser. Nirgendwo auf der Welt sind Wellen- und Gezeitenkraft so stark, wie vor der Küste des schottischen Archipels! Das Potential an blauem Ökostrom läge, so errechneten Experten, bei über 5.000 Megawatt. Das bedeutet, dass man mit ihm über eine Million Briten, von Orkney Islands aus, versorgen und damit ein Drittel aller britischen Atomkraftwerke in den Ruhestand schicken könnte! Das wäre mal ein Brexit der ganz anderen Art! In den ungeheuren Kapazitäten der Inseln läge demnach der Schlüssel zur gesamten Energiewende mehrerer Länder.

Es gibt also eine Vision: Bis 2020 soll der gesamte schottische Energiebedarf aus regenerativen Quellen stammen. Aber es existieren auch Schwierigkeiten. Die Naturkräfte sind dermaßen gewaltig, dass bisher noch kein Material dauerhaft den Belastungstest überstanden hat. Die Wartungskosten sind extrem hoch und die bisher erbrachte Leistung vergleichsweise gering. Seit Beginn sind über 40 Millionen Euro an Forschungsgeldern verbraucht worden. Optimistisch betrachtet und ausgedrückt, kann man dafür sicher sein, dass jede Anlage, die an dieser Küste überlebt, auch an jedem anderen Ort der Welt installiert werden könnte. Es brauchte und braucht also einen langen Atem – sowohl per Motivation, als auch finanziell, um das Projekt weiter voranzutreiben.

Seit 13 Jahren beschäftigt man sich auf den Orkney Islands im EMEC, dem Europäischen Zentrum für Meeresenergie, mit der Entwicklung von Gezeiten- und Wellenkraftwerken. Erstere nutzt die Strömungen von Ebbe und Flut, letztere den stetigen Wellengang, um Turbinen anzutreiben. Bis heute wurden zwei große Testfelder im Meer realisiert, ein drittes ist in Planung. Allen scheint der beinahe unerschütterliche Wille gemein, die Sache erfolgreich zu meistern. Einige Pioniere sind bereits gescheitert; Investoren haben Gelder abgezogen; Unternehmen mussten Insolvenz anmelden. Kritiker sehen solche Vorkommnisse als Beweis dafür, wie müßig und unrentabel die Bemühungen der „blauen Spinner“ im Meer sind. Befürworter der Gezeiten- und Wellenkraftanlagen hingegen, nehmen Rückschläge als das in Kauf, was Innovationen nun einmal mit sich bringen und erinnern sich (und die Bedenkenträger) an die Erschließung der Windenergie: In den 1950er Jahren wurde die nämlich genau hier ausprobiert. Eine experimentelle Turbine sollte damals ans Stromnetz angeschlossen werden. Es gab zwar genug Wind, aber die Technik war seinerzeit den enormen Sturmverhältnissen einfach noch nicht gewachsen. Und heute, fast 70 Jahre später, gilt Windenergie als vollkommen ausgereifte Technik!

Neue Technologien brauchen immer Zeit, bis zu dem, was Ökonomen als „Marktreife“ bezeichnen. Oder: Ohne Weg, kommt man nicht zum Ziel. Und da fällt mir auch noch wieder ein berüchtigter Danz ein: „Nach dem Scheitern ist man in jedem Falle eines – gescheiter!“ Und weiter geht es!

Bemerkenswert ist übrigens auch das Miteinander der blauen Energie-Pioniere: Obwohl sie für unterschiedliche Unternehmen arbeiten, scheint ihre Mission sie zu einen. Man trifft sich auch nach Feierabend und tauscht sich produktiv und fachlich aus. Es gibt keinen Konkurrenzgedanken. Auch deshalb gelingt es hervorragend, einander zu inspirieren und die Innovationen voranzutreiben.

Was Stanford für das Silicon Valley, ist Heriot-Watt für Orkney: Die Privatuniversität unterhält einen kleinen Campus auf einer der Inseln und bietet hier so verheißungsvolle und zukunftsorientierte Studiengänge an, wie „Erneuerbare Energien zur See“ und „Seerohstoffmanagement“. Sehr vorausschauend, wie ich meine: Man holt sich neue Köpfe mit hoffentlich bahnbrechenden Ideen und inspirativem Input genau dorthin, wo sie so nötig gebracht werden! Die Studiengänge sind ebenso eine Investition in die Zukunft, wie es die Forschungsgelder sind, die in die Entwicklung der blauen Energiekraftwerke fließen. Und wenn man das Interesse an den Marktanteilen der Gezeiten- und Wasserkraftwerke sieht, kann man davon ausgehen, dass sämtliche Beteiligte bei einem Durchbruch der Technologie längerfristig sehr viel Geld verdienen werden.

Der Autor und Regisseur Christiane Heynen, der 2015 eine mehrteilige sehenswerte Dokumentation für den Fernsehsender arte über die „Insel der Zukunft“ drehte, behauptet, dass Orkney Island vielleicht einmal die Wiege einer Energierevolution sein wird. Und dann würde, so Heynen, das schottische Archipel für die Energiegewinnung durch Wasserkraft einmal das sein, was das Silicon Valley heute schon für die Computerindustrie ist: Der Ort, an dem die Zukunft ihren Lauf nahm.